Gänsehaut und Feuer

26. Dezember 2012 Rosemarie Schmitt
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Hauptamtlich ist er Saxophonist des genialen, und eben deshalb so erfolgreichen Ensembles Quadro Nuevo. Temporär, also nicht verschnupft, sondern zeitweise, ist er auf Solopfaden unterwegs. Das heißt, nicht tatsächlich solo, denn 4 gewinnt! Weshalb sich Mulo Francel für seine Eskapaden ein klassisches Jazzquartett zusammen klöppelte. Laut Duden handelt es sich bei der klassischen (so auch bei der jazzigen) Eskapade um ein "Abenteuer, eine abenteuerlich-eigenwillige Unternehmung". Dies trifft ziemlich genau, was Sie von dem neuen Album "Escape" (engl.: entfliehen, flüchten) zu erwarten haben!

Mulo Francel entflieht, entzieht sich der eingetretenen Pfade, der organisierten Strukturen. "Wenn du 2000mal rechtsherum aus dem Haus gegangen bist, weil das der kürzere, praktischere, vermeintlich bessere Weg ist, geh beim nächsten Mal einfach nach links! Und schau, was passiert..." In diesem Falle: Höre, was passiert! Mehr als 2000mal frönte Francel auf wunderbare Weise dem Bossa Nova, dem Tango, seiner Vorliebe für World-Music, mediterranen Klängen und alteuropäischen Melodien. Doch hin und wieder schlägt er diese andere Richtung ein, eine Richtung, die er als Kind schon liebte. Durch seinen Vater lernte er den Jazz kennen und lieben. Doch Francel möchte das Rad, und schon gar nicht den Jazz, neu erfinden, er sei ein Eklektiker (nein, kein Elektriker!). Das Etymologische Wörterbuch (nach Pfeifer) erklärt: "Eklektiker m. Philosoph, der aus verschiedenen philosophischen Systemen einzelne Lehrsätze auswählt, wer aus Gedanken anderer eine scheinbar eigene Theorie entwickelt (...)"

Weshalb er "Escape" aufnahm? Weil er erstens: schon immer gerne in außergewöhnlichen Besetzung spielte; zweitens: um der Boss zu sein; drittens: um seine eigenen Lieder zu spielen; viertens: diese, seine Kompositionen, als Ausgangsbasis für lustvolles Improvisieren zu sehen! Und diese Besetzung ist in der Tat außergewöhnlich, in vielerlei Hinsicht! Mulo Francel hat sich für dieses Projekt geniale Musiker zusammen gesucht! Den hochvirtuosen Pianisten David Gazarov, den beeindruckenden Kontrabassisten Sven Faller und einer der inspiriertesten Drummer der europäischen Musiklandschaft (so Francel).

Sicher hatte ich die Titel vorher bereits gehört, schließlich bin ich ein absoluter Liebhaber der Musik des Ensembles Quadro Nuevo, doch so, nein, so hörte ich Francels Kompositionen noch nie! Es sind seine Lieder, damit kann er schließlich machen was er will, und was mir außerordentlich gut gefällt! Mulo Francel sagt, daß Gänsehaut und Feuer im Bauch ein untrügliches Zeichen guter Musik seien. Beim Hören von "Escape" hatte ich beides, und ich war wie elektrisiert (insofern scheint Francel doch eine Elektriker zu sein).

Der ungewohnte, der ungewöhnliche Weg, das ist es, wozu Mulo Francel mit "Escape" einläd. Keine Flucht, sondern "ein Sich-Entfernen-Von-All-Diesem, seine Gegenwelt zu finden, um in ihr wieder Kraft zu schöpfen für den Kampf gegen Missstände in der realen Welt." Sein Anspruch als Musiker: "Mit möglichst anspruchsvoller guter Musik möglichst viel Spaß zu haben und dabei möglichst vielen Leuten Freude zu bereiten." Was genau er damit meint? Na, hören Sie "Escape", dann wissen Sie es.

Begleiten Sie Mulo Francel auf seiner "Flucht" nach Batumi, gönnen Sie sich an südlicheren Tagen im Café Europa in Italien, gemeinsam mit Pauline, Susannata, Angelo del Gatto und Goethe einen Cacao, und lassen sich vom Leben des Señor Lorenzo erzählen. Treffpunkte im Januar: Landsberg am Lech-Stadttheater (am 4.), in der Schwalmstadter Hospitalkirche (am 5.), Im Jazzhaus Freiburg (am 6.), in der Kulturfabrik Traunstein-Nuts (am 8.), im Augsburg-Parktheater in Göggingen (am 10.), in Pfaffing bei Wasserburg-Kultur in der Filzen, oder wo und so oft Sie mögen via CD "Escape" von GLM ( FM 169-2 Label: Fine Music / Anmerkung der Autorin: Very fine Music!)

very herzlich
Ihre Rosemarie Schmitt