Franz West. Wo ist mein Achter?

Franz West war einer der bedeutendsten Österreicher im internationalen Kunstgeschehen. Mit seinen Passstücken und Möbeln sowie Skulpturen im Innen- und Außenraum erlangte der im Juli 2012 verstorbene Künstler Weltruhm. Bereits vor 16 Jahren hat das Wiener Mumok Franz West seine erste umfassende Retrospektive ausgerichtet. Nun widmet es ihm erneut eine große Ausstellung, die er noch selbst initiiert und mit viel Enthusiasmus mitentwickelt hat. "Wo ist mein Achter?" gibt mit rund 30 mehrteiligen Werken einen Einblick in die komplexe und vielschichtige Kunstpraxis von West.

Im Fokus der thematisch angelegten Präsentation stehen die "Kombi-Werke", überwiegend installative Arbeiten, in denen West verschiedene Einzelstücke vereint und auch immer wieder anders zusammengestellt hat. Durch die Kombination und Rekombination unterschiedlicher Werktypen wie den Passstücken, Möbeln, Skulpturen, Videos oder Arbeiten auf Papier aus allen Schaffensperioden gibt die Ausstellung gleichzeitig einen Überblick über die Bandbreite seines OEuvres. Ebenfalls in diesen Werken enthalten sind Arbeiten befreundeter Künstlerkollegen, darunter Martin Kippenberger, Rudolf Polanszky, Jason Rhoades oder Heimo Zobernig.

"Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein", zitierte Franz West 1988 den von ihm hochgeschätzten Philosophen Ludwig Wittgenstein und sprach damit einen essenziellen Aspekt seiner eigenen künstlerischen Herangehensweise an. Auch das Prinzip der Kombination und Rekombination korrespondiert mit seiner Überzeugung, dass die Bedeutung einer Äußerung – beziehungsweise eines bildsprachlichen Elements – nie eine fixe, klar definierte sein kann. Sie ändert sich vielmehr je nach Kontext und Reaktion der RezipientInnen.

Vor dem Museumseingang werden die BesucherInnen von zwei Lemuren empfangen: großformatigen kopfähnlichen Gebilden mit überdimensionalen Öffnungen für Mund und Nase, die West in seinen Texten unter anderem mit Heraklits berühmtem Diktum zum permanenten Wandel der Dinge in Verbindung brachte: "Denen, die in dieselben Flüsse steigen, fließen immer neue Wasser zu, und (immer neue) Seelen entsteigen dem Nass" (Heraklit, Fragment 12). Damit leiten diese Werke in das Thema der Ausstellung ein. Mit der "Genealogie des Ungreifbaren" (1997) steht gleich am Beginn eine Arbeit, die belegt, dass der Künstler auch seinen eigenen Konzepten nie dogmatisch verhaftet blieb. In einer großen vitrinenartigen Box kombiniert er drei frühe Passstücke mit einem seiner ersten Sessel. Werke, die eigentlich zum Gebrauch gedacht waren, wurden so zu "ungreifbaren" Beispielen seiner frühen Werkentwicklung gemacht.

Passstücke sind auch Teil einer "Kombi-Wand", die neben verschiedenen Arbeiten auf Papier Fotos von Personen zeigt, die mit Passstücken agieren. Erweitert um Möbel, werden solche Wände zu raumgreifenden Werken, wie beispielsweise bei "Kasseler Rippchen" (1996) oder "Träumerei – Dreamy" (1997). Ein zentrales Exponat ist die aus drei Teilen bestehende Papiermaché-Skulptur Redundanz, ein prägnantes Beispiel für Wests Praxis der Kombination und Rekombination. 1986 erstmals in Wien gezeigt, sah sich der Künstler nach dem gegen seinen Willen erfolgten Verkauf eines Teils dieser Arbeit zu ihrer Ergänzung mit einer anderen Skulptur veranlasst und betitelte die neue Fassung Reduktion. Das Mumok besitzt seit 2011 beide Versionen des Werks.

Das Schaffen von Franz West ist grundsätzlich partizipativ angelegt, es sucht den Dialog mit den RezipientInnen. Sämtliche seiner künstlerischen Produkte sind Angebote zur Interaktion. Diese kann auf der physischen Ebene stattfinden – wie im Fall der dem Körper "anzupassenden" Passstücke und Möbel –, aber auch auf der mentalen und intellektuellen, wie bei seinen Skulpturen und Arbeiten auf Papier. Letztere sind meist von "Beitexten" begleitet, die weitere Reaktionen stimulieren können. Als Ansatzpunkte für Erfahrungen, Erwägungen, Assoziationen und Überlegungen sind Wests Schöpfungen Auslöser eines Spiels mit verschiedenen Möglichkeiten der Welterfahrung und Weltsicht, die eben je nach RezipientIn, Kontext und Ambiente immer wieder anders sein kann.

In unpathetischer, fast leichtfüßiger und humorvoller Weise zeigt die Kunst von Franz West Ungewissheiten auf. Sie basiert dabei auf einer intensiven kritischen Auseinandersetzung mit philosophischen Texten, welche der Künstler früh begonnen und im Lauf seines Lebens zunehmend intensiviert hat. Der von West gewählte Titel der Ausstellung ist ein weiteres Beispiel seiner Praxis der Kombination und Rekombination: Ausgangspunkt ist die Gouache "Lost Weight" (1994) mit dem Motiv einer Frau, die nach einer Abmagerungskur ihre viel zu große Hose zeigt. Durch Auslassung des "W" transformierte der Künstler "Lost Weight" zu "Lost Eight", um daraus die titelgebende Frage abzuleiten: Wo ist mein Achter?

Franz West wurde 1947 in Wien geboren, wo er 2012 auch verstarb. Mit 23 Jahren begann er autodidaktisch künstlerisch zu arbeiten. Zwischen 1977 und 1982 war West Student von Bruno Gironcoli an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Wurde sein Schaffen in den ersten zehn Jahren nur im Freundeskreis wahrgenommen, startete in den 1980er-Jahren seine internationale Karriere. Er war mit seinen Arbeiten zwei Mal auf der documenta (1992 und 1997) vertreten und gestaltete 1990 den österreichischen Beitrag für die Biennale in Venedig. 2011 wurde er dort für sein Lebenswerk mit dem Goldenen Löwen, der höchsten Auszeichnung für einen lebenden Künstler, geehrt. Trotz seiner Weltkarriere blieb Wien nicht nur stets sein Lebensmittelpunkt, sondern er fühlte sich dieser Stadt und ihrer Kultur zeitlebens in besonderer Weise verbunden.

Katalog: "Franz West. Wo ist mein Achter?" Mit Texten von Karola Kraus (Vorwort), Eva Badura-Triska (mumok), Klaus Görner (MMK Frankfurt am Main), Georg Gröller, Peter Keicher, Andreas Reiter Raabe. Deutsch / englisch, ca. 160 Seiten mit 120 Abbildungen, 30 x 23 cm, Hardcover, Buchhandelsausgabe erscheint im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln. ISBN 978-3-902490-96-4 (mumok), ISBN 978-3-86335-280-6 (Walther König, Köln) EUR 29,90.

Wo ist mein Achter?
23. Februar bis 26. Mai 2013