Feuer und Eis

Im Rahmen seines Schwerpunkts Designgeschichte zeigt das Wagner:Werk Museum Postsparkasse der Bawag PSK vom 5. Oktober bis 13. November 2010 die Ausstellung "Feuer und Eis". Finnisches Glasdesign made in Murano bei freiem Eintritt. Die Eröffnung findet am Montag, den 4. Oktober 2010 um 19.00 Uhr im Rahmen der Vienna Design Week statt. Zu sehen sind ca. ausgewählte 100 Glasobjekte aus der Sammlung des Suomen Lasi Museo (Finnisches Glasmuseum) in Riihimäki, Finnland. Die in der Ausstellung präsentierten Glasarbeiten wurden von den finnischen Designern Tapio Wirkkala und Timo Sarpaneva für die Muraneser Glasmanufaktur Venini entworfen wurden.

Tapio Wirkkala (1915 – 1985) ist einer der wichtigsten Vertreter des modernen finnischen Designs. Seine Entwürfe in Glas, Holz und Silber erregten in den 50er und 60er Jahren internationales Aufsehen und bereiteten den Weg für den Erfolg des finnischen Designs. Das Werk Wirkkalas umfaßt ein breites Spektrum, von Gebrauchsgegenständen bis zu monumentalen abstrakten Skulpturen. 1953 wurden seine Entwürfe erstmals in der amerikanischen Designzeitschrift Interiors vorgestellt, er galt als "Poet für Holz und Glas". Seine Referenz ist immer die Natur – seine Entwürfe aus Glas erinnern an Wasser- und Eismassen, dickwandig, robust, nordisch – im Gegensatz zu den ephemer wirkenden venezianischen Meisterstücken der Muraneser Glasbläser.

Wirkkala beginnt seine Karriere als Bildhauer und Zeichner. 1946 gewinnt er den ersten Preis bei einem Wettbewerb der Glasfabrik Iittala und widmet sich ab dann mit Begeisterung der Glaserzeugung. Bereits die ersten Arbeiten werden 1951 auf der Mailänder Triennale präsentiert, er gewinnt den Grand Prix in drei Kategorien (Glas, Holz, Ausstellungsdesign). Zentrales Thema für Wirkkala werden "organische", der Natur nachempfundenen Formen. Zwischendurch entstehen auch einige grafische Arbeiten, wie die Banknoten für die finnische Nationalbank, die bis 1980 in Umlauf sind. Ab 1954 entwirft er Vasen, Platten und Bestecke aus Silber für die Firma Kultakeskus, schafft Skulpturen aus Sperrholz ― die größte seiner Skulpturen, Ultima Thule für die Expo in Montreal 1967 mißt neun Meter ― und bewegt sich damit mühelos zwischen freier und angewandter Kunst. Die nüchterne Realität des Nachkriegs-Finnland führt als Gegengewicht zu überraschenden kreativen Experimenten in der angewandten Kunst und einem immensen Entwicklungsschub im Industral Design, unterstützt von aufgeschlossenen Produzenten wie der Glasfabrik IIttala (für die auch Alvar Aaltos arbeitete) oder dem Textilunternehmen Marimekko. Selbst Getränkeflaschen, die bis heute jedem Finnen vertraut sind, werden zu Designobjekten, die Wirkkala mit Leidenschaft entwirft.

1951 arbeitet Wirkkala im Designbüro von Raymond Loewy in New York und beginnt neue Materialien und Produktionsmethoden zu erforschen – auch scheinbar banale Designaufgaben wie Autotürgriffe interessieren ihn. Nach seiner Rückkehr beginnt eine jahrzehntelange Zusammenarbeit sowohl mit Iittala als auch mit der Porzellanfabrik Rosenthal – sein erstes Rosenthal-Service heißt Finlandia, womit auch schon die Wertschätzung der internationalen Designszene für das zeitgenössische finnische Design ausgedrückt wird. Wirkkalas Kontakte zu Italien begannen mit persönlichen Freundschaften: mit den Architekten Gio Ponti – Herausgeber des Zeitschrift Domus – und Luigi Baldessari in Mailand. In Venedig lernt er den Glasproduzenten Paolo Venini kennen und beginnt ab 1959, für Venini zu entwerfen. Damit kumulieren die kulturell tradierten Stärken beider Länder – die starke Form- und Farben-tradition des Nordens und die ätherische Finesse der venezianischen Glasbläser. Wirkkals Entwürfe für das Rosenthal-Service Century wurden in die ständige Sammlung des Centre Georges Pompidou aufgenommen, das Service Variation in die Sammlung des Museum of Modern Art in New York. 1964 wurden seine Arbeiten auf der documenta III in Kassel in der Abteilung Industrial Design ausgestellt.

Auch Timo Sarpanevas (1926 – 2006) Schaffen umfaßt mehr als vier Jahrzehnte. Ursprünglich als Grafiker am Institute of Industrial Art in Helsinki (wie auch Tapio Wirkkala) ausgebildet, beschäftigt er sich zu Beginn seiner Laufbahn mit Ausstellungs- und Grafikdesign. 1950 beginnt er dann für Iittala zu arbeiten. Berühmt wurde sein Logo für Iittala (ein kleingeschriebenes "i" in einem roten Punkt). Seine ersten Glasentwürfe für die Hiidenkirnu (Teufelskopf)-Serie erinnern an die organisch-fließenden skulpturalen Objekte von beispielsweise Charles & Ray Eames ("La chaise", 1948) oder Gio Ponti. Ab 1953 entstehen die Orchid-Vasen (als "most beautiful design object of the year" 1954 von der Zeitschrift House Beautiful ausgewählt). Im selben Jahr gewinnt er einen Grand Prix bei der Mailänder Triennale. Mit seinen Entwürfen für erschwingliche Alltagsgegenstände setzt er einen Kontrapunkt zu seinen sonstigen, freien skulpturalen Arbeiten als Glasbildhauer, die nur für wenige Konsumenten erschwinglich waren. Neben der Beschäftigung mit dem Werkstoff Glas interessiert er sich auch zunehmend für Textildesign und arbeitet 10 Jahre für die Porin Puuvilla-Fabrik als Designberater. Sarpaneva entwirft aber auch Speiseservice aus Keramik, Edelstahl- und Gußeisen- Kochtöpfe oder Bestecke und wird drei Mal vom American Institute of Industrial Design ausgezeichnet. 400 seiner Objekte befinden sich in der Sammlung des Museums für angewandte Kunst in Helsinki.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war noch alles klar: Glaskunst entstand in der Mitte Europas – in Frankreich mit Lothringen und in Österreich, mit Böhmen als Zentrum. Als drittes Zentrum wäre Venedig mit seiner Glasmacherinsel Murano zu erwarten gewesen – dort befand man sich allerdings, nachdem das Interesse an historistischen Objekten erloschen war, in einer schöpferischen Krise. Dies ist im Grunde nur schwer zu verstehen, da die typisch venezianische Art des freien und virtuosen Umgangs mit dem Glas unmittelbar am Ofen eigentlich dem Zeitgeist entsprochen hätte. Der "stile liberty" oder Arte Nuova, wie der Jugendstil in Italien genannt wird, konzentriert sich aber auf andere Bereiche; in der Glaskunst beschränkt er sich hauptsächlich auf Mosaikglastechniken. Das Interesse am venezianischen Glasstil wird erst wieder nach dem 1. Weltkrieg geweckt. In Murano selbst bedurfte es allerdings eines Anstoßes von außen, um Anschluß an die neuen Zeiten zu finden. Die Initiative für den Neubeginn wurde von Norditaliens kreativem Zentrum Mailand ergriffen. Von dort stammt der ausgebildete Jurist Paolo Venini, der 1921 das Wagnis einging, eine neue Glashütte zu gründen, die er ab 1925 alleine führte. Damit beginnt die Geschichte der modernen venezianischen Glaskunst und der Wiederaufstieg Muranos zu einem europäischen Bezugspunkt der Glaskunst.

Den Ausgangspunkt der Auseinandersetzung der Firma Venini mit der Glaskunst jener Länder, zu denen man in Konkurrenz treten wollte, bildet also nicht der modische Zeitstil des Art Déco in Frankreich, sondern die zunehmend in Richtung Design orientierte, auf Architektenentwürfen basierende neue Gefäßkultur Wiens, zu dem Venedig traditionell enge Beziehungen unterhielt. Getragen wird diese Entwicklung von ausgebildeten Künstlern – Venini ist zwar an der Auswahl der Modelle für die Produktion beteiligt, nicht aber an der Entwurfsarbeit selbst. Mit Nachdruck verschafft sich so das Konzept der deutschen Werkbundbewegung mit ihrer Forderung nach dem Einsatz von Künstlern als Entwerfern in der Industrie auch in Venedig Gehör. Im Lauf der 20er und 30er Jahre kommt es nun zu einer Verschiebung der Gewichte in der Glaskunst: das Zentrum Europas verliert an Bedeutung, und Skandinavien und Italien beginnen an die Stelle Frankreichs und Bohmens zu treten.

Wichtig für Venini wird die Zusammenarbeit mit freien Entwerfern – in den 30er Jahren vor allem mit Carlo Scarpa, einem der bedeutendsten Designer des 20. Jahrhunderts. Scarpa sucht in seinen Glasentwürfen für Venini die Einfachheit zeitloser Gefäßgestaltung und greift dabei immer wieder auf ostasiatische Vorbilder zurück. Venedigs Glaskunst wurde dank Scarpa autonom. Das Bewußtsein der eigenen Stärke versetzt Venini nun in die Lage, über Venedig hinaus international zu denken ― in der engen Geisteswelt des Faschismus dieser Jahre keine Selbstverständlichkeit.

Nach dem Tod Paolo Veninis 1959 setzt sein Schwiegersohn Ludovico Diaz konsequent die Linie der Öffnung nach außen fort. In den 60er Jahren beginnen dann Tapio Wirkkala und Timo Sarpaneva, für die Manufaktur zu entwerfen. Interessant ist, daß das Glas, das bei Venini verarbeitet wird, andere technische Eigenschaften hat als das finnische. Es erstarrt langsamer als die für die maschinelle Verarbeitung entwickelte finnische Glasmasse, wodurch es länger formbar ist. Venedigs Glasmacher beherrschen souverän die traditionellen Techniken, was wiederum den Skandinaviern ermöglicht, mit neuen Formen zu experimentieren. Die Stärken der Finnen, ihr Umgang mit dem klaren farblosen Kristall und ihre kraftvoll straffe Formkultur beeindrucken die Italiener ebenso, wie sich die Länder des Nordens von der Leichtigkeit, der inspirierten Spontaneität und dem südlichen Farbverständnis der Muraneser angezogen fühlen.

Dieser gegenseitige Austausch, frühes Beispiel von globalem Denken, wird für die Firma Venini Programm. Den Höhepunkt bildet sicher die Zusammenarbeit mit Wirkkala (1966 – 1982) und später Sarpaneva (1989 – 1993). Die ca. 100 Objekte der vorliegenden Ausstellung, konzipiert von Suomen Lasi Museo (Finnisches Glasmuseum) in Riihimäki, Finnland unter dem Originaltitel "Finns at Venini", stammen aus Privatsammlungen und wurden durch Objekte des Museums ergänzt.

Feuer und Eis
Finnisches Glasdesign made in Murano
5. Oktober bis 13. November 2010