Farbe im Fluss

Die Ausstellung "Farbe im Fluss" zum 20-jährigen Jubiläum der Weserburg zeigt den künstlerischen Umgang mit frei fließender Farbe seit Jackson Pollock. Werke der wichtigsten Vertreter des abstrakten Expressionismus und der Farbfeldmalerei werden Arbeiten jüngerer Künstlerinnen und Künstler gegenübergestellt. Als Höhepunkte entwickeln Katharina Grosse, K.H. Hödicke, Peter Zimmermann, Nicolas Garcia Uriburu, Rainer Splitt, Christine Würmell und andere neue Arbeiten direkt vor Ort.

Der amerikanische Maler Jackson Pollock wagte Ende der 1940er jahre ein simples und zugleich bahnbrechendes Experiment: Er legte eine Leinwand auf den Boden seines Ateliers und begann, sie von oben her mit Farbe zu bearbeiten. Nach vorn gebeugt, den ganzen Körper einbeziehend, ließ er Acrylfarbe und Lack auf die Malfläche fließen und tropfen. Dieses als "Action Painting" bekannt gewordene Verfahren inspirierte in der Folge ganze Künstlergenerationen. Man begann Farbe als fließendes Material mit bestimmten physikalischen Eigenschaften zu begreifen und künstlerisch einzusetzen. Dies tat man ganz bewusst gegen eingespielte Sehgewohnheiten und als neue Herausforderung für die Sinne und den Verstand.

In der Folge entstanden ganz neue Konzepte, die Pollocks Position ergänzten, grundlegend überdachten oder revidierten. Morris Louis, Sam Frands und Helen Frankenthaler thematisierten auf höchst verschiedene Weisen die physikalischen Grundbedingungen des Farbflusses. Lynda Benglis setzte dem "männlichen" Gestus des Pollockschen Drippings eine eher voluminöse, "weibliche" Variante aus farbigem Polyurethanschaum entgegen. Andy Warhol persiflierte in seinen "Oxidation Paintings" Jackson Pollocks Bodenmalerei. Und der Amerikaner Larry Poons ließ Farbe senkrecht die Leinwände herablaufen, um sich als Autor scheinbar aus dem Produktionsprozess zu verabschieden. In Deutschland ironisierte Sigmar Polke mit seinem "Moderne Kunst" betitelten Gemälde den Abstrakten Expressionismus. Und der Berliner Maler K.H. Hödicke hängte lakonisch einen großen Teereimer an die Decke des Ausstellungsraumes und ließ den "Kalten Fluss" selbsttätig mäandrierend während der Ausstellung den Weg nach unten finden.

Dieses breite Spektrum an Farbkonzepten greifen auch Künstlerinnen und Künstler des 21. Jahrhunderts auf. Was sie interessiert sind neue, auf den ersten Blick eher untersuchende, beobachtende, unpathetische Vorgehensweisen, die den Fluss der Farbe bisweilen in bemerkenswerten Aktionen an den Alltag rückbinden. Sie arbeiten zum Teil mit Videoaufzeichnungen und Performances. Tony Tasset spritzt Schokoladensirup in fast pollockscher Momentaufnahme in die Luft. Party Chang setzt sich in ihrem "Fan Dance" körperlich der in den Raum geschleuderten Farbe aus und Francis Alys lässt eine dünne Spur grüner Farbe während eines Ganges durch jerusalem wie eine kartografische Grenzziehung auf den Boden fließen und gibt auf diese Weise dem freien Farbfluss eine mehrdeutige politische Komponente.

"Farbe im Fluss" stellt prinzipiell zwei künstlerische Ansätze einander gegenüber: Farbe als malerisches Ausdrucksmirtel im Sinne der Moderne einerseits und der eher konzeptionelle, experimentelle, ja antimalerische Umgang mit Farbe vor allem bei jüngeren Künstlerinnen und Künstlern andererseits. Doch kommt es trotz oder gerade wegen dieser Unterschiede immer wieder zu Bezugnahmen und Dialogen der Künstlerinnen und Künstler untereinander zu regelrechten Hommagen und Reverenzen, allerdings auch zu Dekonstruktionen, lronisierungen und Infragestellungen der älteren durch die jüngeren. Auffallend dabei ist, dass ähnliche Phänomene höchst unterschiedliche Bedeutungen generieren oder erhalten können. Am Ende steht eine energiegeladene und äußerst spannende Gegenüberstellung unterschiedlicher künstlerischer Positionen. die alle eines gemeinsam haben: Den bewussten Umgang mit Farbe, welche sich als Material, Medium und Bedeutungsträger vor allem selbst zum Thema macht. Peter Friese

Farbe im Fluss
10. September 2011 bis 29. Januar 2012