Es ist nicht alles Gould, was glänzt!

8. Juni 2011 Rosemarie Schmitt
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Er komponiert und "pianiert", er ist jung, liebt die Musik Johann Sebastian Bachs, wählte sich als Vorbild einst Glenn Gould und seine liebsten Lektüren sind die Texte von Thomas Bernhard, im Besonderen dessen "Untergeher", was sonst! Geboren wurde er 1981 (zwei Jahre bevor der "Untergeher" erstmals publiziert wurde) in Luxemburg. Doch er ist nicht wirklich ein Luxemburger. Der Umstand, daß er dort geboren wurde, machte ihn lediglich zu einem ihrer Staatsbürger.

Sowohl familiär als auch beruflich bedingt ist der als Franceso Tristano Schlimé geborene junge Musiker das, was viele zwar allzu gerne doch ebenso irrtümlich von sich behaupten zu sein, er ist ein Weltbürger, ein Kosmopolit. Er sagt, Barcelona sei sein Zuhause und seine Heimat sei ihm egal. Es könnte Luxemburg sein oder auch Italien. Wo er sich wohl fühlt, ist für ihn Heimat. Mal hier, mal da. Mal so, mal so. Aber lassen und gönnen wir dem kleinen Ländchen diesen "Luxemburger", auf den sie zu Recht stolz sind. Francesco Tristano ist irgendwie grenzenlos. In vielerlei Hinsicht. Er ist grenzen- und respektlos und bisweilen grenzenlos respektlos. Geboren als Franceso Tristano Schlimé entwickelte sich dieser junge Mann mit der irritierend androgynen Erscheinung zu einem ebenso eigenwilligen als auch herausragenden Musiker. Seit ich seine neueste CD hörte, weiß ich, es gibt es, das Schlimé-Finger-Syndrom!

Anders als Bernhards Protagonisten schaffte er es, seine Bewunderung der pianistischen Fähigkeiten Glenn Goulds als Herausforderung und nicht als Aufforderung zum Untergang zu nehmen. Franceso Tristano zweifelt nicht an seiner Begabung, vielmehr strotzt er nur so vor Selbstsicherheit, jugendlichem Eifer und Übermut. Diesem Umstand verdankt er es auch, daß ich ihm nicht wirklich ankreide, wenn er behauptet, der typische Liebhaber klassischer Musik möchte immer nur hören, was er schon kennt. Weshalb ich mich auch veranlaßt sah, zunächst jene Titel seiner CD "bachCage" zu hören, die ich noch nicht kannte. Dies waren die - leider zu kurzen - eigenen Stücke von Franceso Tristano und die Kompositionen von John Cage. Und nun, da ich diese kenne, werde ich die Cage-Stücke gerne auch wiederhören. Hin und wieder vielleicht, wenn ich in der seltenen Stimmung bin, in der mir nach Klangexperimenten zumute ist. Wie viel lieber sind mir doch die bachschen Stücke. Und diese spielt Francesco Tristano traumhaft brillant und klar, mit einer Leichtig- und Geläufigkeit, die mich fasziniert.

Er spielt ohne Pedal, wie Gould, welches er bei der Interpretation von Cage ohnehin nicht erreichen würde während er auf dem Flügel hangelt, um ihm an die Innereien zu gehen. Denn obschon Glenn Gould sein Idol ist, hängt Franceso Tristano nicht am Flügel wie ein schlecht erzogener Lümmel. Nein, "Dreistano" setzt noch einen drauf; und zwar sich, auf eben den Flügel, um mit unkonventionellen Mitteln dessen Klang zu manipulieren. In einem Interview mit "Deutschlandradio" sagte er: "Ich will etwas Originelles machen, ich will etwas machen, wo man etwas hört, was man vielleicht noch nicht gehört hat." Dies ist dem jungen wilden Musiker mit der CD "bachCage" - erschienen bei "Deutsche Grammophon" (Universal-Music) - durchaus und in beeindruckender Manier gelungen.

Sie werden gerührt sein, oder geschüttelt, je nachdem, wie Sie Ihre Musik möchten.

Er ist ein Weltbürger, ein Kosmopolit, auch in Sachen Musik. Er mixt, was er mag und bringt zusammen, was sonst gerne Distanz wahrt. Er mag die Musik des Barock, Techno, Minimal Music und Maximal Disposition! Mixt Bildungsbürger mit jenen, die nicht vorhaben welche zu werden. Nein, es ist nicht alles Gould, was glänzt. Es kann auch schon mal ein Tristano sein!

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt