Entenmuschel – weder Ente noch Muschel

24. Oktober 2011 Kurt Bracharz
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Die Entenmuscheln sind doppelt falsch benannt, denn sie haben biologisch weder mit Enten noch mit Muscheln etwas zu tun. Tatsächlich handelt es sich bei Pollicipes cornucopia um ein Krebstier, genauer: um eines aus einer der Gruppen der Rankenfußkrebse (Cirripedia); eine andere sind die allgemein bekannten Seepocken, die man oft z. B. an Austernschalen angeheftet findet. Die Larven aller Rankenfußkrebse schwimmen frei, aber mit Ausnahme von einigen innenparasitären Arten kleben sich die erwachsenen Tiere mittels ihrer sogenannten Zementdrüse an ein Substrat – im Falle der Entenmuscheln an Felsen, bei Platzmangel auch auf den Fuß älterer Exemplare.

Die in Spanien Percebes genannten Entenmuscheln sind mit Kalkplatten gepanzert, die ihnen das Aussehen einer Muschel auf einem Stiel verleihen. Die dunkel gefärbte Haut um diesen Stiel gehört zu den ganz großen Delikatessen des Meeres. Für die Marktfähigkeit müssen die Tiere mindestens fünf Zentimeter lang sein und zweieinhalb Zentimeter Durchmesser haben. Man unterscheidet die percebes del sol mit kurzem, dicken Fuß aus der Brandungszone und die weniger geschätzten, längeren und schmaleren percebes de la sombra aus Felsklüften in ruhigem Wasser. Die geschmacklich besten Entenmuscheln kommen aus Galicien, weniger hochwertige, allerdings auch erheblich billigere Qualitäten aus Marokko, Portugal, Frankreich oder auch aus Peru und Kanada. Die "Ernte" der besser schmeckenden Tiere aus dem Brandungsbereich der galicischen Küste ist lebensgefährlich für die Percebeiros.

Percebes werden ganz kurz – etwa eine Minute – in Salzwasser gekocht und mit den Händen gegessen – man bricht die Schale auf, zieht den Fuß heraus und verzehrt den eßbaren Teil. In Galicien heißt es: "Agua a ferver, percebes botar, agua a ferver, percebes sacar", also "Wasser kochen, Percebe hineingeben, noch einmal aufkochen, Percebe herausnehmen". Percebes sollten unbedingt sofort nach dem Kochen heiß gegessen werden, weil sich ihr Geschmack beim Abkühlen schnell verliert. Das spricht auch gegen die Konserven, die in mitteleuropäischen Feinkostgeschäften zu hohen Preisen gehandelt werden und von deren Doseninhalt – die ganzen Tiere – ja nur ein sehr kleiner Teil essbar ist. Am besten schmecken Entenmuscheln natürlich dort, wo sie herkommen und also am frischesten sind. Jedes Jahr im Juni wird mit den "percebes do Roncudo" aus Corme an der Costa da Morte von La Coruña ein großes Percebes-Fest gefeiert.


Der Name "Entenmuscheln" kommt daher, dass im Mittelalter behauptet wurde, aus dem Schalentier entwickele sich ein Vogel – der Waliser Gerallt Gymro wollte mit eigenen Augen gesehen haben, wie aus einer Entenmuschel eine Nonnengans geschlüpft war (die Wandlung von der Gans zur Ente erfolgte bei der Verbreitung der Behauptung erst in Deutschland). Der Grund für die schnelle Verbreitung dieser Legende dürfte gewesen sein, dass Gans- bzw. Entenbraten dann als Fastenspeise durchgehen konnte, weil es sich ja um Tiere aus dem Wasser handelte, für die das Fleischverbot nicht galt (auch Biber und Fischotter galten aus diesem Grund als Fastenspeise).