Enjoy – Die Mumok Sammlung im Wandel

Zehn Jahre nach ihrer Antrittsausstellung, dem Museum der Wünsche, präsentiert Karola Kraus zusammen mit ihrem Team eine Sammlungsausstellung, die zentrale Schenkungen und Ankäufe des letzten Jahrzehnts integriert, um die Sammlung in ihrer Entwicklung neu zu beleuchten. 20 Jahre nach der Eröffnung des mumok im MuseumsQuartier und 40 Jahre nach Gründung der Österreichischen Ludwig-Stiftung ist diese Ausstellung Resümee und Ausblick zugleich. Sie ermöglicht die Rückschau auf die vergangenen Jahre und stellt neue Perspektiven zur Diskussion, auf deren Grundlage die zukünftige museale Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit gestaltet werden kann.

Die Präsentation zielt darauf ab, die Kunstgeschichte seit der Moderne als einen lebendigen Prozess zu vermitteln, in dem sich gesellschaftspolitische, soziokulturelle und philosophische Entwicklungen und Diskurse – sowie deren Wandelbarkeit – widerspiegeln. Der Ausstellungstitel Enjoy zitiert ein Motiv aus einer Plakatserie von Corita Kent (Sister Corita), die sich in ihren Arbeiten Text- und Bildmaterial aus der Konsum- und Populärkultur, aus Kunst, Politik und Religion aneignet und dieses neuen Bestimmungen zuführt. So liefern auch Traditions- und Konventionsbrüche in der Ausstellung einen zentralen Leitfaden.

Innerhalb einer losen chronologischen Abfolge von der Klassischen Moderne über die neoavantgardistischen Kunstrichtungen der 1960/70er-Jahre bis zur Gegenwartskunst bilden zeit- und medienübergreifende Themenfelder ein durchgehendes Gliederungsprinzip: Die Ausstellung zeigt den Einfluss gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Entwicklungen auf die Kunst der Moderne und stellt deren Bezüge zur Gegenwartskunst her. Sie ermöglicht eine erweiterte und kritisch-ironische Sicht auf die Pop Art, sie lotet das Potenzial konzeptueller und performativer Kunst mit ihren Körper- und Naturbezügen seit den 1960er-Jahren aus und wendet sich aktuellen Fragen von Migration und Grenzziehungen zu.

Revue Moderne

Die Präsentation nähert sich den historischen Beständen des Mumok aus der Perspektive zeitgenössischer Künstler_innen, die in ihrer Arbeit modernistische Formensprachen aktivieren und zugleich die Widersprüche und nicht eingelösten Potentiale des utopischen Projekts der Moderne aufscheinen lassen. Die Thematisierung der umfassenden Abhängigkeit der westlichen Moderne von anderen Kulturen steht am Beginn der Ausstellung. Hier wird Constantin Brancusis hochglanzpolierte "La Négresse Blonde II", 1933 (1980) mit Andrea Frasers 82-teiliger Fotoinstallation "White People in West Africa", 1989/1991/1993 konfrontiert, die die vielfältigen Auswirkungen des (Neo-) Kolonialismus offenlegt. Ausgehend von Henri Matisses’ Glasfenster "Blühender Efeu 1956" (1953) und Sophie Taueber-Arps Bronzekomposition lassen sich mit Ulrike Müller, Robert Kushner und Maja Vukoje auch Positionen in der Gegenwartskunst ausmachen, die die "Reinheits-Mythen" der Moderne dekonstruieren und handwerklich-dekorative, affektive oder körperlich-politische Dimensionen von Ästhetik ausloten. Revolutionäre wissenschaftliche Erkenntnisse um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert – darunter die Relativitätstheorie oder die Entdeckung elektromagnetischer Wellen – formten ein radikal neues Weltverständnis und beeinflussten auch die künstlerischen Avantgarden maßgeblich. So findet im Werk der amerikanischen Künstlerin Lee Lozano die Auseinandersetzung mit optischen und kosmischen Phänomenen von František Kupka, Erika Giovanna Klien oder Giacomo Balla ihren Widerhall. Tendenzen zu einer gewissen Glättung und Coolness, die in der Zwischenkriegszeit über die Länder- und Gattungsgrenzen hinweg zu beobachten waren, sowie die Suche nach alternativen Körper- oder Geschlechtermodellen bilden weitere thematische Klammern zwischen Moderne und Gegenwart.

Gegenwart der Geschichte

Über die Medien Film, Fotografie und Malerei hinterfragen Dorit Margreiter, Michael Part, Mathias Poledna und R.H. Quaytman die Darstellung von Geschichte und unsere Beziehung zum frühen 20. Jahrhundert. Die Verwendung dieser Medien, durch die unser Verständnis von der Vergangenheit maßgeblich geprägt wurde, erfolgt in einer Form, die gleichzeitig auch deren eigene Geschichte reflektiert.

So zeigt beispielsweise Mathias Poledna in seinem 35mm Film "Indifference" (2018) eine Serie von kurzen halluzinatorischen Sequenzen, angesiedelt am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Die Hauptperson, ein aristokratischer Offizier, ist ein Amalgam verschiedenster Charaktere. Polednas hochstilisierte Bilder zitieren die vielfältigen Inszenierungsmethoden, wie sie Malerei und Literatur, Historienfilmen und Autorenkino in den letzten hundert Jahren geprägt haben.

Figur und Skulptur

Mit ihrem Festhalten an der menschlichen Figur stellt die österreichische eine besondere Spielart der Moderne dar. Ihr Weg führte nicht in die "reine" Abstraktion, sondern in eine Neuordnung des Körpers unter veränderten Vorzeichen – mit oft traditionellen Mitteln. Insbesondere in der Plastik zeigt sich, wie Gegenwart und Vergangenheit, das Historische und das Moderne miteinander ringen. Drei sukzessive in die 1960er-Jahre überleitende Positionen aus der mumok Sammlung führen dies exemplarisch vor: Im Werk der Bildhauer Fritz Wotruba und Joannis Avramidis wird die menschliche Figur in Stein und Bronze tektonisiert und segmentiert, während der Wotruba-Schüler Roland Goeschl – von der aufkommenden Pop Art und Op Art beeinflusst – neue Materialien, Raumbezüge und vor allem Farbe in seine Skulptur einbringt. Einen heimlichen Dialog führt die kleine Präsentation auch mit der Personale von Heimo Zobernig, die zeitgleich auf der anderen Seite des Weißen Kubus eröffnet. Auch dort weiß sich das Figurative inmitten abstrakter und konzeptueller Ansätze selbstbewusst zu behaupten.

(Anti-)Pop

Wie Untote geistern die mit der Pop Art verbundenen Versprechen durch diese Ausstellungsebene, die Vertrautes und Neues, Historisches und Aktuelles aus der mumok Sammlung aufeinandertreffen lässt. Ein "No" hält "Der Plünderer" (2018) von Ines Doujak den Betrachter_innen gleich am Eingang entgegen – ein "Nein", das den falschen Prämissen der westlichen Konsumwelt gilt, deren Ideologie von Wachstum, Wohlstand und Fortschritt auf der Ausbeutung vieler basiert. Im bodenlosen Schwarz von Monika Baers Malerei "on hold (in pieces)" (2015) hallt das implizite Ausrufezeichen – seltsam aussagelos – nach. Unmittelbar daneben heißt es in A. R. Pencks unbetiteltem Bild von 1973/74, das von archaisch anmutenden Kreaturen, Objekten und Zeichen bevölkert ist: "Anstelle der Geld-Warenrelation hat die neue Gesellschaft die nackte Begierde gesetzt." Man fragt sich, von welcher neuen Gesellschaft hier die Rede ist. Es zeigt sich, dass Künstler_innen bereits ab den 1960er-Jahren mindestens ebenso sehr an den Rissen und trüben Stellen im schönen Schein interessiert waren wie an den verführerischen Oberflächen selbst. In Kiki Kogelniks "War Baby" (1972) etwa wird das militärische Tarnmuster entgegen seiner Bestimmung zum modischen Hingucker, und Evelyne Axell lässt in Le Glacier (1972) eine unberührte Alpenlandschaft zur psychedelisch-artifiziellen Schablone werden.

Abstraktion. Natur. Körper

Die in den 1960er- und 1970er-Jahren vorherrschenden Tendenzen der Minimal-, Concept- und Body Art, der Land Art und der Arte Povera bilden einen historischen Rahmen, dessen Grundsätze in aktuellen Arbeiten jüngerer Künstler_innen unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen umgedeutet werden. Unterliegt in der Minimal Art – etwa bei Donald Judd – die Formreduktion noch wahrnehmungspsychologischen Prämissen, so spielen in der Concept- und Body Art gesellschaftliche und soziologische Aspekte eine zentrale Rolle. Auf solche Positionen bauen neuere Arbeiten gegenwärtiger Künstler_innen auf, die, wie Anita Leisz, von der strengen minimalistischen Programmatik abweichen, oder sich auf die politischen Dimensionen des historischen Konstruktivismus beziehen, wie etwa bei Nikita Kadan, der die politischen Umstürze und Konflikte in der Ukraine thematisiert. Ähnliches gilt für die Natur und den Körper als universelle kunstgeschichtliche Rahmenthemen: Ausgehend von den naturbezogenen Arbeiten Robert Smithsons oder der rumänischen Sigma-Gruppe (Stefan Bertalan, Constantin Flondor, Doru Tulcan) sowie den Körperdarstellungen von Maria Lassnig oder Sanja Ivekovic, lassen sich Entwicklungslinien erkennen, die bis in die aktuellen Diskurse des Anthropozän und des Posthumanismus reichen, etwa bei Pakui Hardware oder Barbara Kapusta.

Re/Aktionen

Anhand der Mumok Sammlung lassen sich die unterschiedlichen Annäherungen und Techniken verstehen, in ihrer Zeitlichkeit verhaftete Aktionen zu dokumentieren und langfristig darstellbar und sichtbar zu machen. In der Präsentation geben Relikte, Requisiten oder auch Spuren Aufschluss über ihre ursprüngliche Rolle im Zusammenhang mit Aktionen, können aber auch einen eigenständigen Part übernehmen und sich in ihrer Wertigkeit emanzipieren. Deutlich wird dies anhand der medialen Vielfalt einer der radikalsten künstlerischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts, die bis heute nichts an Brisanz eingebüßt hat: des Wiener Aktionismus. Eine Auswahl von Werken, Dokumentationsmaterial und Ephemera beleuchtet weniger geläufige Facetten und ermöglicht eine Kontextualisierung mit Blick auf zeitgenössische internationale Tendenzen. Die Zusammenhänge zwischen dem Archivieren des Werks und dem Archiv als Werk bestimmt zudem die Präsentation der einzigartigen Archivbestände mit den schriftlichen Nachlässen von Kurt Kren und Ernst Schmidt jr. In der Gegenüberstellung mit internationalen, weiblichen und teils jüngeren Positionen wie Anna Artaker, Carola Dertnig, Joan Jonas oder Zoe Leonard werden neue Zugänge zum Verhältnis von Werk und Archiv eröffnet.

Die Grenzen unserer Welt

Im Mittelpunkt stehen hier "die Grenzen unserer Welt", deren politische, ökonomische und kulturelle Bedeutungen sowie die Möglichkeiten künstlerischer Bezugnahme. Fareed Armalys Installation "The (re)Orient" (1989) hinterfragt im Dialog mit Fotografien von Yto Barrada und Lisl Ponger sowie mit Mark Dions "The Ethnographer at Home" (2012) gleichsam programmatisch das westliche Bild vom Rest der Welt. Kulturelle Austausch- und Aneignungsprozesse werden dabei ebenso beleuchtet wie Migrationsfragen oder räumliche und ökonomische Abgrenzungen. Weitergeführt wird diese Auseinandersetzung mit Fotografien und Videos von Christopher Williams, dessen Untersuchung unterschiedlicher Lesarten der Moderne pointierte Konfrontationen westlicher und afrikanischer Motive und Traditionen beinhaltet, sowie durch Dorit Margreiter, die die Bedeutung von Medien und architektonischen Ordnungen für die Identitätsbildung in Zeiten globaler Migration thematisiert.

"Die Grenzen unserer Welt", wie wir sie im Mumok diskutieren, sind nicht zuletzt auch die kulturellen, geografischen und wirtschaftlichen Grenzen unseres Landes. So entwirft beispielsweise der amerikanische Künstler Félix González-Torres ein Portrait von Österreich und dessen Verhältnis zur Welt, basierend auf den Destinationen von Austrian Airlines und deren erstmaliger Aufnahme in den Flugplan. Der aus Japan stammende und seit langem in Österreich beheimatete Fotograf Seiichi Furuya wiederum beleuchtet Österreichs östliche Grenzregion vor dem Fall des Eisernen Vorhangs.

Enjoy
Die Mumok Sammlung im Wandel
19. Juni 2021 bis 18. April 2022
Kuratiert von Manuela Ammer, Heike Eipeldauer, Rainer Fuchs, Naoko Kaltschmidt, Matthias Michalka