Einen CapPuccini bitte!

13. Oktober 2010 Rosemarie Schmitt
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Ich werde noch wahnsinnig. Und dabei hatte ich es mir so einfach vorgestellt, über Puccini und dessen Oper "La Bohème" zu schreiben. Doch mittlerweile kann ich Sie nur davor warnen, sich mit Puccini zu beschäftigen. Eigentlich wollte ich nur ein wenig über diesen berühmten Komponisten lesen, irgend etwas zu berichten finden, was noch nicht alle Welt weiß. Und nun lese ich seit Wochen Romane über die Pariser Bohème.

Allen voran Henri Murgers "Bohème", der Roman, um dessen Geschichten Puccini seine Oper "La Bohème" komponierte. Es folgen etwa fünf weitere Werke aus der Zeit der Pariser Bohème. Ich lese mich kreuz und quer von der Musik zur Literatur, lese mich über Leoncavallo und Hemingway zu Gertrude Stein bis zu James Joyce. Und immer wieder finde ich wahre, geschwindelte, erfundene und seltsame Geschichten von und über Giacomo Puccini. Und da sind sie mal wieder, die Geister, die ich rief...

Ich sitze im Café, bestelle mir einen CapPuccini, frage mich, weshalb der Kellner mich so dämlich angrinst und betrachte meine neueste Errungenschaft in Sachen Signore Puccini, eine DVD, aufgenommen im Dezember 2009 im Londoner Opernhaus Covent Garden. Jetzt, wo ich schon so viel über ihn und sie gelesen habe, muß ich sie mir einfach noch einmal ansehen. Sie, die Oper "La Bohème" von ihm, dem Komponisten Giacomo Puccini. Die Aufnahme des Labels Opus Arte (im Vertrieb von Naxos) zeigt auf dem Cover eine Szene aus dem 3. Akt. Mimì und Rodolfo stehen sich in einer verschneiten Landschaft gegenüber. Sie schauen sich liebend an, halten sich in den Armen, und wir alle wissen, nicht diese Liebe, sondern Mimì wird am Ende sterben. Und ich werde wieder einmal weinen. Dabei trifft mich der Tod von Mimì doch keineswegs unvorbereitet. Nicht mehr, nachdem ich "La Bohème" mittlerweile etwa zehnmal hörte und fünfmal sah. Die Musik ist es, die mich am Ende immer wieder weichspült.

Puccini, so bekomme ich den Eindruck, hat es seinen Mitmenschen niemals leicht gemacht. Er war ein Techniknarr, ein Lebemann und Jäger, ein Liebhaber seiner selbst und auch des Automobils. Er liebte es, seine Musik im Radio zu hören. Er liebte sich und das Leben, und seine Frau liebte ihn. Oh ja, Signora Puccini war sehr temperamentvoll und eifersüchtig (das nicht ohne Grund). Wußten Sie, liebe Leser, daß sie dem Kaffee ihres liebestollen Gatten etwas beimischte, um seine Lüste zu "regulieren"? Aber nicht alle liebten Puccini! Kurt Tucholsky beispielsweise sagte 1931 (allerdings als "Theobald Tiger"): "Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehar ist dem kleinen Mann sein Puccini."

Sehen Sie, ich sagte ja, ich lese mich kreuz und quer und wahnsinnig, komme vom Hölzchen aufs Stöckchen. Kennen Sie diese Metapher? Ist jetzt aber auch egal, mir fehlt es eh an der Zeit für eine Erklärung! Vielleicht ein andermal.
Also, was war denn nun mit "La Bohème" und Puccini? Die Handlung der Oper spielt im Jahre1830 in Paris, und wenn man diese Oper hört und sieht könnte man meinen, Puccini sei ein Franzose gewesen oder habe wenigstens eine ganze Weile in Paris gelebt. Doch dem ist ganz und gar nicht so. Puccini war ein Italiener durch und durch. Im Jahre 1858 wurde er, zwei Tage vor Heiligabend, in dem toskanischen Städtchen Luca geboren. Zwar sollte er später häufig verreisen, doch ließ er stets sein Herz in der Toskana zurück, welches dort treu und brav auf Maestro Puccinis Heimkehr wartete.

Vier Jahre bevor er die Partitur für "La Bohème" fertigstellte, mietete sich Puccini in der Nähe von Torre del Lago ein paar Zimmer. Er verbrachte sehr viel Zeit mit seinen Freunden und denen, die es gerne gewesen wären, in einer nahe gelegenen Schenke am Ufer des Massaciuccoli-Sees. Zeit, in der er mit seinen Künstlerfreunden die Freuden des Lebens genoß und nicht allzu sehr davon hielt, diese Zeit mit Arbeit zu vertun. Irgendwann kam es, daß aus dieser Schenke Puccinis Zuhause wurde. Oh, Sie kennen das, liebe Leserin? Ja, so mancher Gatte hat wohl auch einen solchen Zweitwohnsitz mit Zapfanlage. Aber im Falle Puccinis verhielt es sich etwas anders, denn dieser kaufte kurzum seine Lieblingsschenke, gab ihr den Namen "Club La bohème" und schaffte es so an dieser Stätte fortan nicht nur zu feiern, sondern auch zu arbeiten.

So geschah es, daß Puccini am 10. Dezember 1895 dann doch noch die Fertigstellung der Bohème-Partitur datierte. An der Stelle, wo Mimì sterben sollte, zeichnete er einen Totenschädel, und seit der ersten Aufführung im Februar 1896 stirbt Mimì immer und immer wieder an eben genau dieser Stelle. Mimì gehört bis heute zu den am häufigsten Sterbenden auf den Opernbühnen dieser Welt. Nur bei Violettas Tod muß ich noch ein kleines bisschen mehr weinen.

Doch noch um ein Vielfaches trauriger sind die Umstände von Puccinis Tod. Denn dieses Libretto schrieb das Leben. Es würde viel zu weit führen, an dieser Stelle näher darauf einzugehen, doch ich werde Ihnen ganz bestimmt irgendwann darüber erzählen. In dem Film "Puccini – Magier aus Leidenschaft" des Regisseurs Volker Schmidt-Sondermann heißt es, Puccini habe in dem Jahr bevor er starb folgendes geschrieben:

"Ich habe keinen Freund, ich fühle mich allein, auch die Musik ekelt mich an. Wenn der Tod mich zu finden kommt, werde ich glücklich sein, mich auszuruhen. O wie hart ist mein Leben obwohl es vielen glücklich scheint. (...) Schnell vergeht die Jugend und das Auge blickt in die Ewigkeit." Wenn dies die Wahrheit ist, so starb im Alter von 66 Jahren der große Opernkomponist Giacomo Puccini als ein sehr armer reicher Mann.

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt