Eine Aargauer Künstlerin in Ascona

Anna Iduna Zehnder (1877–1955) war passionierte Ärztin und Malerin. Mit ihrem für eine Frau ihrer Zeit aussergewöhnlichen Lebenswandel sowie ihren künstlerischen und medizinischen Begabungen ist sie eine wichtige und beeindruckende Aargauer Persönlichkeit. Das Aargauer Kunsthaus widmet ihr mit der Ausstellung Anna Iduna Zehnder. "Eine Aargauer Künstlerin in Ascona" die erste institutionelle Werkschau und zeigt einen Überblick über ihr Schaffen, das mit grosser Frische und malerischer Qualität überrascht.

Das Aargauer Kunsthaus richtet regelmässig Ausstellungen aus, die herausragenden Aargauer Künstlerinnen und Künstlern der Gegenwart und der Vergangenheit gewidmet sind. In der Ausstellung Anna Iduna Zehnder. Eine Aargauer Künstlerin in Ascona findet erstmals eine vertiefte Annäherung an diese wenig bekannte Ärztin und Künstlerin statt, deren Werke noch nie zuvor in einem Kunstmuseum gezeigt worden sind. Der Entdeckung und Einordnung ihres Oeuvre gilt denn auch der Fokus der Schau. Über hundert ihrer wichtigsten Gemälde zeigen Anna Iduna Zehnders Schaffen in seiner ganzen Breite und leisten einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung ihres künstlerischen Nachlasses.

Das Werk von Anna Iduna Zehnder lässt sich in drei Gruppen einteilen. Eine erste Gruppe umfasst Werke, die Übungsstücke sind. Grösstenteils entstanden sie unter Anleitung des rumänischen Künstlers Arthur Segal (1875–1944), dessen Malschule in Ascona Anna Iduna Zehnder im Sommer 1917 besuchte. Arthur Segal legte Wert auf eine gründliche künstlerische Ausbildung, zu der auch das Erlernen damals aktueller malerischer Techniken wie das Pointillieren gehörte. Anhand einiger ausgestellter Werke (Selbstporträt, 1917 / Im Garten, 1917) ist ersichtlich, dass Anna Iduna Zehnder den pointillistischen Umgang mit Pinsel und Farbe beherrschte. Eine zweite Gruppe von Werken zeigt klassische Motive und es finden sich Beispiele aus den bekannten Gattungen wie dem Stillleben, der Landschaftsmalerei und dem Bildnis (Blumenstillleben, o.J. / Park im Herbst, 1927 / Radoje, 1919). Die dritte Gruppe besticht durch eine Komposition und Motivwahl, die durch okkulte, übersinnliche und religiöse Themen geprägt ist (Es hat uns allen wohl getan, 1923). Zweifelsohne sind diese Werke auch Resultat einer ernsthaften Auseinandersetzung der Künstlerin mit der Anthroposophie.

Die Heterogenität von Anna Iduna Zehnders Oeuvre kommt in der Ausstellung in motivisch und stilistisch sehr unterschiedlichen Stimmungsräumen zum Ausdruck und ist bezeichnend für Anna Iduna Zehnders Kunstverständnis. Es interessierten sie weder das avantgardistische Streben nach neuen Bildmöglichkeiten in den klassischen Gattungen, noch eine virtuose Umsetzung bekannter touristischer Motive, die sie in der Umgebung von Ascona und Locarno vor Augen hatte. Sie konzentrierte sich auf den Prozess der Kunstentstehung, der an die sorgfältige persönliche Auswahl der Bildinhalte geknüpft ist. Besonders prägnant zusammengefasst sind Anna Iduna Zehnders malerische Erkenntnisse im 1923 entstandenen Passionszyklus "Die 14 Stationen des Leiden unseren Herrn", der gleichsam das Herzstück der Ausstellung bildet.

Anna Iduna Zehnder wird 1877 in Birmenstorf, im Kanton Aargau geboren. Nach dem frühen Tod der Eltern verbringt sie ihre Kindheit vorwiegend unter der Obhut ihrer Grosseltern und später ihres Grossonkels in Aarau. 1904 nimmt sie das Medizinstudium auf, das sie nach mehreren krankheitsbedingten Unterbrüchen im Alter von 36 Jahren abschliesst. Anna Iduna Zehnder ist damit eine von ganz wenigen Frauen, die um 1914 das Staatsexamen in Medizin vorweisen können. Während des Ersten Weltkrieges übernimmt sie verschiedene Arztvertretungen in der Deutschschweiz, will sich aber nicht langfristig an ein bestimmtes Spital binden. Zu sehr brennt in ihr der Wunsch, sich verstärkt auch ihrer anderen Passion neben der Medizin zu widmen: der Malerei.

1918 siedelt Anna Iduna Zehnder zusammen mit ihrer Lebensgefährtin, der Aargauerin Emmy Thurnheer, nach Ascona über. Im Sommer zuvor hatte sie hier die Malschule des rumänischen Künstlers Arthur Segal (1875–1944) besucht, was ihren Entschluss festigte, sich definitiv im Tessin niederzulassen. Nach der Erkrankung des einzigen Arztes von Ascona übernimmt Anna Iduna Zehnder 1922 die örtliche Praxis. Sowohl über ihren Beruf als Ärztin als auch dank ihrer Tätigkeit als Künstlerin kommt die Aargauerin in Kontakt mit Künstlern und Bewohnern des Monte Verità und den im Tessin der 1920er-Jahre rege verkehrenden Vertretern der europäischen Avantgarde.

Mit ihrer internationalen Klientel, zu der so bekannte Künstlerpersönlichkeiten wie Alexej von Jawlenski (1864–1941) und Marianne von Werefkin (1860–1938) zählen, verbindet sie in vielen Fällen auch eine Freundschaft, die ihr den Zugang zur künstlerischen Avantgarde ermöglicht. Durch eine russische Patientin kommt Anna Iduna Zehnder in Kontakt mit den Schriften Rudolf Steiners, dessen anthroposophische Lehren ein weiterer zentraler Bezugspunkt ihres Schaffens und Lebens werden.

Anna Iduna Zehnder
Eine Aargauer Künstlerin in Ascona
7. September bis 17. November 2013