Ein neuer Blick

Seit etwa 150 Jahren werden in fast allen Häusern der Staatlichen Museen zu Berlin Fotografien gesammelt. Sie dienten zunächst rein dokumentarischen Zwecken. Ob in der Gemäldegalerie Reproduktionen europäischer Tafelmalerei, im Kunstgewerbemuseum Aufnahmen kunsthandwerklicher Objekte, in der Antikensammlung Fotografien von Ausgrabungen oder im Museum für Völkerkunde Bilder von Expeditionen in Archivkästen einsortiert wurden – immer ging es darum, sich jener flüchtigen, großen oder auch kostspieligen Dinge zumindest bildlich zu versichern, die im Original nicht zu haben waren.

Die Vorteile der fotografischen Aufnahme gegenüber älteren Dokumentationsverfahren, von der Handzeichnung bis zur Abreibung, wurden im 19. Jahrhundert oft genug gebührend heraus gestellt, so dass sie bald zum unhinterfragten Klischee geronnen. Die Wahrhaftigkeit der Fotografie, ihre Neutralität, die Geschwindigkeit, mit der die Bilder gemacht werden konnten, auch die Möglichkeit der unkomplizierten Vervielfältigung waren lange Zeit die Argumente für den medientechnologisch fundamentierten Wandel der Dokumentationsverfahren, der die Berliner Museen in den 1860er und 1870er Jahren vehement mitriss. Damals kamen die Fotografien in großer Zahl in die Häuser, erworben auf Reisen, in Auftrag gegeben bei freischaffenden Fotografen oder unaufgefordert eingesandt. Ordnungssysteme mussten für die Bilder entwickelt werden, zumeist folgten und folgen sie heute noch topografischen, sachsystematischen und chronologischen Gliederungen, bilden in Werkgruppen und Schulen die Systematik der Exponate in den Museen nach.

Dass die Architekturfotografie in vielen Sammlungen eine herausragende Position einnimmt, verwundert nicht. Gehören doch Gebäude zu den Objekten, die sich - wenn überhaupt - nur in fragmentierter Form im Museum präsentieren lassen. Die kontextschaffende Einbettung in die Umgebung aber muss in jedem Fall verloren gehen. So ist etwa die Dokumentation der Grabungen in Pergamon in der Antikensammlung besonders umfangreich, sollte die Fotografie doch Forschern und Besuchern den Altar im Pergamonmuseum zumindest in Ansätzen wieder an den Fundort zurück versetzen. In den meisten Fällen jedoch tritt die Fotografie im Museum vollständig an die Stelle der von ihr dargestellten Architektur. Im Kunstgewerbemuseum etwa waren die Aufnahmen bedeutender Gebäude aus der europäischen Kunstgeschichte für die Bauschaffenden und Architekturstudenten als Vorbilder gedacht. Die Auseinandersetzung etwa mit dem fotografisch dokumentierten Maßwerk gotischer Kathedralen wurde im Zeichen historistischer Wiederbesinnung auf vergangene Baustile als ideale Grundlage der Bildung und Gestaltung angesehen. So waren Fotografien von Gebäuden von Anfang in vielen Häusern breit vertreten: es finden sich Bilder von Bambushütten, aber auch Ruinen der Mayatempel im Ethnologischen Museum, Fotografien der Pyramiden im Ägyptischen Museum, Aufnahmen indischer Moscheen im Museum für Asiatische Kunst und Fotografien europäischer Paläste und Kirchen in der Sammlung Fotografie der Kunstbibliothek, die aus der Vorlagensammlung des Kunstgewerbemuseums hervorging.

Eine fotografiehistorisch motivierte Untersuchung dieser Bestände gab es bislang nicht. Fotografiegeschichte allgemein ist durch ihre immer wieder neu gewendete Auseinandersetzung mit dem Medium geprägt. Eine auch nur unvollständige Aufzählung der Wandlungen dieser Geschichte müsste die zunächst technikgeschichtlichen Untersuchungen zur rasanten Ausbreitung des Mediums, die kunsthistorisch fundierten Systematisierungen in Schulen, die mit den Interessen des Kunstmarktes einher gehende Identifizierung von herausragenden Meistern und von Meisterwerken berücksichtigen. Die immer breitere Einbettung der Fotografiegeschichte in eine Geschichte der Bildmedien in den letzten Jahren jedoch rückte Archive und anonyme Sammlungen stärker in den Fokus. Bildarchive tendierten lange Zeit zur Anonymisierung und Nivellierung ihrer Bestände. Um die abgebildeten Objekte vergleichbar zu machen, wurden die Fotografien zumeist auf Karton aufgezogen, gelegentlich durch Beschnitt auf eine einheitliche Größe gebracht, mit neuer Beschriftung und Ordnungsnummern versehen und schließlich mit anderen Fotografien in Kästen und Schüben zusammen sortiert. Hatten selbstbewusste und ihre Arbeiten auszeichnende Fotografen noch ihre Namen in das Negativ einbelichtet oder auf der Rückseite des Abzugs aufgestempelt, so spielten die damit manifestierten unterschiedlichen Handschriften der Fotografen im Ordnungssystem eines musealen Bildarchivs keine Rolle und wurden lieber getilgt als auf den Karton übertragen. Auch das Entstehungsdatum der Aufnahme wurde nur vermerkt, wenn es für die Datierung oder den Zustand der abgebildeten Objekte von Bedeutung war.

Die Ausstellung "Ein neuer Blick: Architekturfotografie aus den Staatlichen Museen zu Berlin" im Kaisersaal schlägt einen aus diesem reichen Fundus entnommenen Rundgang durch die Geschichte der ältesten Gattung des Mediums Fotografie vor. Es werden bedeutende Fotografien präsentiert: Notre Dame de Paris fotografiert von den Brüdern Bisson, der Tempel von Abu Simbel in einer Aufnahme von John Beasley Greene, eine offene Tür in der Kathedrale von Ely als stimmungsvolle Studie von Frederick Henry Evans oder die in reines Schwarz-Weiß aufgelöste nächtliche Fassade des Stuttgarter Kaufhauses Schocken von Arthur Köster sind darunter.

Katalog: "Ein neuer Blick: Architekturfotografie aus den Staatlichen Museen zu Berlin", herausgegeben von Ludger Derenthal und Christine Kühn, mit Aufsätzen von Ludger Derenthal, Janos Frecot, Simone Förster, Susanne Holschbach, Stefanie Klamm, Kathrin Kohle, Christine Kühn, Barbara Lauterbach, Andrea Lesjak, Kristina Lowis, An Paenhuysen, Miriam Paeslack, Annette Philp. Hardcover, 416 S. mit 330 Abb., 34,80 EUR im Museum, 49,- EUR im Buchhandel, ISBN 978 3 8030 0704 9 Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen und Berlin

Ein neuer Blick
Architekturfotografie aus den Staatlichen Museen zu Berlin
27. Mai bis 5. September 2010

Museum für Fotografie

Jebensstraße 2
D 10623 Berlin
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F 0049 (0)30 266 42 4197

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