Ein bedeutsames biografisches Portrait von Christine Lavant

In schlüssiger Folge der vierbändigen Gesamtausgabe mit dem literarischen Werk von Christine Lavant (1915–1973), erschien fünfzig Jahre nach ihrem Tod Biografisches, ausgewählt und kommentiert von Klaus Amann, mit dem Titel: Christine Lavant "Ich bin maßlos in allem". So ein bedeutungsvolles, berührendes, außergewöhnliches Buch über die große Kärntner Dichterin kann wohl nur herausgeben, wer sich wissenschaftlich und umfassend mit Christine Lavant beschäftigt hat. Klaus Amann, Gründer und langjähriger Leiter des Robert-Musil-Instituts für Literaturforschung der Universität Klagenfurt war Mitherausgeber der Gesamtausgabe.

Im herkömmlichen Sinn ist dies weder eine Biografie noch Edition. "Es ist ein Mosaik chronologisch angeordneter und eingepasster Briefe und Briefauszüge, Texte und Dokumente, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie etwas über Christine Lavants Leben und ihren Alltag als Frau und als Dichterin erzählen. […] Dieser Strom ihrer Lebenserzählung in den Briefen wird flankiert, verbreitert, gespeist und angereichert durch Zubringer, Seitenarme, Ausbuchtungen, Nebenflüsse und Uferlandschaften – sprich, durch eine Vielfalt und eine Vielzahl an lebensgeschichtlich bedeutsamen Dokumenten und Materialien: ihre Krankenakte, Auszüge aus ihrem einzigen Interview für den Österreichischen Rundfunk, Berichte aus der Familie, Erinnerungen von Freundinnen und Freunden, Zeitungsportraits, Rezensionen, literarische Würdigungen, Nachrufe, Reaktionen auf ihr Werk, Fotos, Gemälde, Zeichnungen Holzschnitte …", darunter erstmals sämtliche Porträts, die Werner Berg von Christine Lavant geschaffen hat.

Christine Lavant hinterließ keine Tagebücher, Notizbücher, Berichte oder Kalender. Sie hat auch alle an sie gerichteten Schreiben vernichtet, mit einer einzigen Ausnahme: der Briefwechsel mit der Liebe ihres Lebens, Werner Berg. Obwohl beide vereinbart hatten, diesen zu vernichten, suchten sie jeweils einen sicheren Ort für ihren wertvollen Schatz: Werner Berg für zirka 520 ihrer Briefe (mit Hunderten Beilagen, meist Gedichtmanuskripte) bei einer Sammlerin, Christine Lavant für seine 260 Briefe (es waren jedoch viel, viel mehr) bei ihrem Neffen, der später ihr Erbe und Nachlassverwalter wurde.

Was an Biografischem erhalten blieb, das sind ihre Briefe, von Menschen aufbewahrt, gehütet, gerettet, die sie wertgeschätzt haben. Eine unermessliche Kostbarkeit. Diese Briefe an ihre Vertrauten bilden den Kern des Buches. Im ersten Teil ist Unvorstellbares über ihre Kindheit zu erfahren. Es grenzt eigentlich an ein Wunder, dass sie unter den körperlichen und seelischen Belastungen, die ihr von Kind an auferlegt waren, nicht schon früher zerbrochen ist (siehe auch Christine Lavant, "Das Kind"). Zweimal hatte sie als Jugendliche versucht, sich das Leben zu nehmen und ließ sich schließlich 1935 auf eigenen Wunsch in die Landes-Irrenanstalt in Klagenfurt einweisen (siehe auch Christine Lavant, "Aufzeichnungen aus dem Irrenhaus").

Mit der Heirat eines um 36 Jahre älteren Mannes, mit dem sie ein Leben lang in der engen Dachkammer (12 m2!) verbringen, und ihre Arbeit als Strickerin den gemeinsamen Haushalt finanzieren musste, verbesserte sich ihre Situation nicht. Unfassbar mitzuerleben, wie der mehrfach Gescheiterte sie als Dienstmagd behandelt und unter Druck hält. Doch "Christine Lavant war, nach dem Zeugnis derer, die sie kannten, eine äußerst belesene, kluge und schlagfertige, in Gesellschaft, je nach Situation und Laune, auch freche und vorwitzige Frau."

"Das Buch zeigt eine große Dichterin und eine leidenschaftliche Liebende in ihrem Glück und ihrer Verzweiflung. Davon zeugen ihre Briefe und die Lebensdokumente. In ihren Gedichten und Erzählungen ist es, literarisch wundersam verwandelt, aufgehoben und verdichtet, gegenwärtig." Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Ein wundervolles Lavant-Lesebuch.

Christine Lavant
»Ich bin maßlos in allem«
Biografisches
Ausgewählt und kommentiert von Klaus Amann. 
Unter Mitarbeit von Brigitte Strasser.
Wallstein Verlag, Göttingen, 2023
455 S., 102 z.T. farb. Abb., 14 x 22,2 cm
ISBN 978-3-8353-5532-3