Eat Art. Vom Essen in der Kunst

In den 1960er Jahren begann der Schweizer Künstler Dieter Roth mit Nahrungsmitteln zu experimentieren: Wurstscheiben, Schokolade oder Gewürze wie Anis dienten ihm als Material für seine Kunstobjekte. Zeitgleich gestaltete sein Landsmann Daniel Spoerri so genannte "Fallenbilder", in denen er die Reste einer Mahlzeit auf einem Träger fixierte und wie ein Gemälde an die Wand hängte. Spoerri war es auch, der den Begriff "Eat Art" prägte: eine Bezeichnung für Kunst mit und aus Essbarem.

Ausgehend von dem Sammlungsschwerpunkt Dieter Roth, präsentiert das Kunstmuseum Stuttgart anhand von Objekten, Installationen und Filmen die Verwendung von Lebensmitteln in der Kunst von Ende der 1960er Jahre bis heute. Neben Dieter Roth, Daniel Spoerri, Joseph Beuys, Roy Lichtenstein und Gordon Matta-Clark, die sich mit den existenziellen wie sinnlichen Aspekten des Essens und Kochens befassen, kommen in der Ausstellung auch jüngere Künstlerinnen und Künstler zu Wort: Sonja Alhäuser, Anya Gallaccio, Elke Krystufek oder Shimabuku reflektieren in ihren Werken die Produktion, Verwertung und den Konsum von Lebensmitteln in einer globalisierten Gesellschaft.

1970 gründete Daniel Spoerri die Eat Art Galerie in Düsseldorf, für die zahlreiche berühmte Künstler von Dieter Roth bis Joseph Beuys und Roy Lichtenstein Objekte aus essbaren Materialien und Lebensmittelabfällen produzierten. Auf über 1.200 Quadratmetern entfaltet die Sonderausstellung im Kunstmuseum Stuttgart das Spektrum der Eat Art bis in die Gegenwart. Der künstlerische Umgang mit der Grundsubstanz Nahrung stellt eine elementare Schnittstelle von Kunst und Leben dar. Seine Aktualität bezieht er aus Themen wie Überfluss und Hunger, Konsum- und Globalisierungskritik, modernen Ernährungslehren und Koch-Shows, Schlankheitswahn und Fast Food.

Die über hundert Exponate umfassende Werkschau gliedert sich in zwei ineinander greifende Abschnitte. Ein kleinerer historischer Teil widmet sich den Wurzeln der Eat Art: zentrale Arbeiten Daniel Spoerris, einige der "Fallenbilder" und Teile seiner Rezeptbuchsammlung, werden neben den wichtigsten für die Eat Art Galerie entstandenen Multiples gezeigt, darunter Werke von Dieter Roth, Joseph Beuys, André Thomkins, Günther Uecker, Ben Vautier, Günter Weseler und anderen. Die Materialcollagen, Schimmelbilder und Lebensmittel-Skulpturen Roths schlagen die Brücke zwischen der Stuttgarter Sammlung und der aktuellen Sonderausstellung.

Das Kunstmuseum Stuttgart, das einen umfangreichen Bestand an Werken von Dieter Roth besitzt, zeigt im Untergeschoss zahlreiche Arbeiten des Künstlers. Der Hauptteil der Sonderausstellung präsentiert das breite Spektrum an jüngeren Positionen, die sich mit dem Einsatz alimentärer Materialien beschäftigen. Kochen und Essen als gesellschaftliche und kulturelle Inszenierungen bilden den Ausgangspunkt für Christine Bernhards ethnologisch fundierte Recherchen, Arpad Dobribans kommentierte Gastmahle, Lili Fischers Gewürzpredigt sowie Dustin Ericksens und Mike Rogers Sammlung von Künstlern benutzter Trinkgefäße. Sonja Alhäuser, Anya Gallaccio, Judith Samen und Jana Sterbak verbindet das bildhauerische Interesse am Umgang mit Lebensmitteln, die durch ihre sinnliche, körpernahe und vergängliche Materialästhetik reizen.

An der Grenze zwischen Faszination und Befremdlichkeit bewegen sich die Arbeiten Michel Blazys, in denen Mikroorganismen oder Mäuse zu bildgestaltenden Akteuren werden. Spielerisch surreale, abgründige oder groteske Aspekte des alltäglichen Umgangs mit Nahrung thematisieren BBB Johannes Deimling, John Bock, Carsten Höller und Shimabuku. Thomas Feuerstein und Philip Ross züchten in laborartigen Versuchsanordnungen Organismen unter Bedingungen industrieller Lebensmittelproduktion. Die Küche nicht nur als Labor, sondern als kreativer und sozialer Produktionsort im Allgemeinen wird in der Ausstellung mehrfach thematisiert.

Andreas Wegner baut Schütte-Lihotzkys berühmte Frankfurter Küche von 1926 nach und reflektiert ihre sozialen und architektonischen Bedingungen. Zeger Reyers konstruiert eine langsam rotierende Küche voller Lebensmittel, die sich von einem alltäglichen Funktionsraum in einen Abfallcontainer verwandelt. Die hier implizierte Kritik an Verhaltensweisen der Überflussgesellschaft wird ebenfalls von Thomas Rentmeister aufgegriffen, der einen Einkaufswagen unter einem riesigen Berg Zucker begräbt. In Mika Rottenbergs Video-Installationen werden Konsumwelt und vorindustrielle Produktionsbedingungen in absurden Settings miteinander kombiniert. Der Umgang mit dem eigenen Körper, mit Schönheitsidealen und Essstörungen stellt einen weiteren Aspekt der Ausstellung dar und wird von den Künstlerinnen L. A. Raeven und Elke Krystufek filmisch verarbeitet, die wie Paul McCarthy Lebensmittel auch für Tabu brechende Inszenierungen verwenden.

Die in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Düsseldorf entstandene Ausstellung umfasst zentrale Leihgaben ebenso wie Arbeiten und Aktionen, welche die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler für das Projekt entwickelt haben. Parallel wird ein umfangreiches Begleitprogramm rund um das Thema Essen und Kunst stattfinden.

Eat Art. Vom Essen in der Kunst
18. September 2010 bis 9. Januar 2011