Ding / Unding. Die Entgrenzung des KünstlerInnenbuchs

Die Ausstellung "Ding / Unding" wirft einen Blick auf KünstlerInnenbücher der Graphischen Sammlung ETH Zürich. Der Schriftsteller Bob Brown (1886–1959) war Anfang der 1930er Jahre überzeugt: «Books are antiquated word containers» – und obwohl er schon damals der Meinung war, dass Bücher veraltet seien, haben sich bis heute die Prophezeiungen des Tods des Mediums alles andere als eingelöst. Auch in der Kunst ist das Buch nicht verschwunden. Immer wieder erweitern Kunstschaffende unsere Vorstellung, was überhaupt noch als Buch gelten kann. Muss es gebunden sein? Gedruckt? Oder aus Papier bestehen?

Voraussagen zur Zukunft des Buches wurden und werden immer wieder getroffen. Die Prophezeiung, dass sie im sogenannten Informationszeitalter überflüssig geworden sind, ist bis heute jedoch nicht eingetroffen. Zum Glück nicht. Auch in der Kunst spielt die Auseinandersetzung mit dem Medium und seiner Entgrenzung immer noch eine grosse Rolle. Dabei werden selbst die grundlegendsten Elemente eines Buches – gebundene Seiten mit Einband – hinterfragt. Ein Versuch, das KünstlerInnenbuch über Definitionen oder Kategorien zu fixieren, ist dementsprechend schwierig. Die Ausstellung untersucht, warum sich Kunstschaffende immer noch mit dem Buch auseinandersetzen, ob und wie sie dessen Grenzen überschreiten und wie das KünstlerInnenbuch im digitalen beziehungsweise post-digitalen Zeitalter seinen Platz findet. Gerade heute changieren Bücher zwischen etwas Dinghaftem und etwas Immateriellen, nicht mehr physisch Greifbaren.

Diese Unterscheidung zwischen physischem und nicht mehr physischem Buch kann verbunden werden mit Vilém Flussers (1920–1991) Analyse von Dingen und Undingen. Vor dem Aufkommen der digitalen Medien war die Welt für den Medienphilosophen bevölkert von natürlichen und künstlich geschaffenen Dingen. Inzwischen entstehen aber immer mehr Undinge, das heisst ungreifbare Informationen, Programme, Symbole. Diese verlieren kontinuierlich ihren Objektcharakter und werden zu Software ohne Hardware. Daraus folgt laut Flusser, dass der bekannte Lebenszyklus von Werden-Sein-Vergehen durch eine Vorstellung von Fortschritt abgelöst wird, die nur eine Richtung kennt: Undinge formen ein immer weiter anwachsendes Gedächtnis.

KünstlerInnenbücher als Dinge untersuchen ihren Objektcharakter spielerisch und gehen dabei über den Status des Buches als Informationsbehälter hinaus. Dieter Roth (1930–1998) verarbeitete das Magazin Der Spiegel mit Gewürzen zur Literaturwurst, während bei Željka Marušić und Andreas Helbling (Zusammenarbeit 1998–2006) das Buch zum schimmernden, aufklappbaren Reiseorakel "Nada" transformiert wird. Auch Leporellos sind Dinge. Sie bleiben nicht flach auf dem Tisch liegen, sondern betonen ihre Präsenz im Raum. Hiroshi Sugimotos (\*1948) "Noh such thing as time" imitiert in verkleinertem Massstab die von ihm entworfene Noh-Theaterbühne. Ed Ruschas (\*1937) "Every Building on Sunset Strip" entfaltet sich dagegen zu einem sieben Meter langen Boulevard.

Das Buch als Unding erweitert Flussers Verständnis der Auflösung des Dings zur immateriellen Information. Sie sind nicht einfach keine Dinge, sondern schwer greifbare, widerständige Objekte. Dazu müssen auch die in überdimensionale Buchstaben zerlegten Wörter in Christopher Wools (\*1955) Black Book gezählt werden, die kaum auf einen Blick lesbar sind und ungebundene Bücher, bei denen sich festgelegte Ordnung aufzulösen scheint. Wie Hannes Bajohr (\*1984), Philosoph und Literaturwissenschaftler, erkannt hat, sind aber post-digitale Publikationsformen ebenfalls Undinge, reflektieren sie doch oft ihre Position zwischen digitalem Code und analogem Objekt. Dazu gehören auch die Print-on-Demand Publikationen, die erst nach der Online-Bestellung gedruckt werden. "Non Facit Saltus" von Lawrence Giffin instruiert uns auf jeder Seite diese zu wenden, um zur nächsten zu gelangen – eine Aufforderung der wir erst in der gedruckten Version Folge leisten können.

Lauren Klotzmans (\*1987) "Meat Joy Error Failure", macht die immaterielle Fehlermeldung einer fünfminütigen (illegalen) Videoaufnahme von Carolee Schneemanns (\*1939) berühmter Performance zu einem ganze 5‘527 Seiten langen und acht Bände umfassenden Gedicht. Ob Bücher in einer Zeit von endloser digitaler Information auf ihren Objektcharakter pochen oder sich selbst an dieser Schwelle der Verschränkung von Analogem und Digitalem platzieren: Die Antwort auf die Frage, wie sich KünstlerInnenbücher heute positionieren ist vielfältig. Neben Einblicken in die Werke während dem umfangreichen Rahmenprogramm lädt eine Leseinsel dazu ein, sich analog und digital in Bücher zu vertiefen.

>**Ding / Unding. Die Entgrenzung des KünstlerInnenbuchs**
13. Februar bis 14. April 2019