Die Schönheit wird essbar sein

31. Dezember 2012 Kurt Bracharz
Bildteil

In der Galerie 1 des Pariser Centre Pompidou kann man seit November eine große Ausstellung der Werke des spanischen Surrealisten Salvador Dalí (1904 – 1989) besuchen. Ende März übersiedelt sie in das Madrider Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, wo sie bis Anfang September 2013 zu sehen sein wird. Die Pariser Ausstellung ist bei Publikum und Medien auf großes Interesse gestoßen, sowohl "Le Monde" als auch "Le nouvel Observateur" haben Sonderhefte über "l’enigme sans fin" ("Le Monde") und "le provocateur du siècle" ("Le nouvel Observateur") Dalí herausgebracht.

Ich nehme an, dass es kein Zufall ist, sondern eben mit dieser Wiederentdeckung des katalanischen Künstlers zusammenhängt, dass mir im Dezember im Restaurant "Mraz & Sohn" in Wien das nebenbei abgebildete Dessert als "Dalís Uhr" serviert wurde. Da es sich dabei ja wohl um eine Anspielung auf Dalís berühmtestes Motiv, die drei zerrinnenden Uhren aus dem Bild "Die Beständigkeit der Erinnerung" (1931) handelt, wunderte ich mich allerdings , dass Mraz seine weiche "Uhr" nicht Dalí-artig zerrinnen ließ, was ja mit Eis und Schokolade und anderem schmelzfähigem Material kein Problem gewesen wäre. Salvador Dalí hat das Motiv wiederholt verwendet, zum Beispiel als Brosche (1949), bei der eine schlaffe Uhr über einem Zweig hängt, und natürlich in dem Ölbild "Auflösung der Beständigkeit der Erinnerung" (1952 – 1954), aber auf einem Teller hat er es meines Wissens nie realisieren lassen.

Sein Buch "Meine Diners mit Gala" (deutsche Ausgabe 1974) enthält eine Reihe von Rezepten und zeigt die (recht konventionellen) Speisen auch im Bild – dabei hat Dalí, der sonst den Kitsch nicht unbedingt scheute, eigentlich nie (echte) Zuckerbäckerkunst produziert oder "mit dem Essen gespielt", wie er es auf Bildern durchaus getan hat ("Spiegeleier auf dem Teller, ohne den Teller" (1932), das Fleischstück auf der grotesk verlängerten rechten Arschbacke Lenins in "Das Rätsel Wilhelm Tells" (1933), oder die Bohnen in "Weiche Konstruktion mit gekochten Bohnen – Vorahnung des Bürgerkriegs" (1936)).

Lebensmittel hat Dalí oft gemalt – am häufigsten Brot, von "Der Brotkorb" (1926) über "Zwei Stück Brot drücken das Gefühl der Liebe aus" (1940) und einige recht phallische Baguettes bis zur zweiten Version des Brotkorb-Motivs "Der Brotkorb – Lieber Tod als Schande" (1945). Mit Brot (das bei Mraz immer auf eine Art auf den Tisch kommt, die mich an ein Bild von Miró oder eine Plastik von Max Ernst erinnert) hätte sich also noch präziser auf Dalí anspielen lassen, allerdings sind Dalís Brotstücke viel weniger populär als seine weichen Uhren.

Bei Markus Mraz gab es möglicherweise noch einen zweiten Hinweis auf Dalís Oeuvre: Eine etwa olivengroße Amuse-gueule wurde in einem Kaffeelöffel serviert, der einem zum Tisch gebrachten hölzernen Nussknacker in den Mund gesteckt war. Auf dem "Bildnis Picasso" (1947) präsentiert eine ziemlich bizarre Büste auf einem langen, aus ihrem Mund ragenden Löffel eine winzige Mandoline.

Als ob Dalís eigenes Buch "Meine Diners mit Gala" die kulinarischen Ambitionen des Malers nicht genügend illustriert hätte, hat Pascal Bonafoux 1988 "La Beauté comestible. À propos de Dalí et d’Aliments" herausgebracht. In der deutschen Ausgabe "Zu Gast bei Dalí. Der große Surrealist als Gourmet", München 1998, findet man Rezepte für Kohlrouladen, gefüllte Paprikaschoten, fritierte Fischchen und sogar eines für ein simples Knoblauchbrot. Wenn das nicht Surrealismus ist!