Die Schillerlocke vom Königsaal

28. Januar 2013 Kurt Bracharz
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In deutschen Rezeptsammlungen im Internet findet man unter dem Stichwort "Schillerlocke" erheblich mehr Rezepte für ein süßes Blätterteiggebäck als für jenes Stück Räucherfisch, das auch als "Schillerlocke" bezeichnet wird und vom Dornhai stammt. In den letzten Jahren werden die "fischigen" Schillerlocken allerdings nur noch selten angeboten, teils weil der bis zu 120 cm lange, früher massenhaft vorkommende Dornhai nach jahrzehntelanger Überfischung zu den gefährdeten Fischarten gehört, teils vielleicht auch, weil sein Fleisch stark mit Quecksilber belastet ist.

Die Schillerlocken sind seine etwa 20 cm langen, enthäuteten Bauchlappen, die sich beim Räuchern zu Röhren einrollen und an den Enden auf typische Weise zusammenkrümmen. Sie haben dann weitaus mehr Ähnlichkeit mit Friedrich Schillers Lockenpracht als die gleichnamigen Schaumrollen. Die ebenfalls verwerteten, wohlschmeckenden und grätenfreien Rückenstücke des Dornhais werden meist "Seeaal", "Steinaal" oder "Königsaal" genannt, in England, wo das Fleisch des Dornhais für Fish & Chips verwendet wird, spricht man vom (Spiny) Dogfish und verwendet den Handelsnamen Rock Salmon, in Italien kennt man ihn als Spinarolo. Der Fischhandel vermeidet es überall, das ominöse Wort "Hai" auszusprechen.

Der einst in riesigen Schwärmen durch die Meere ziehende Dornhai steht heute auf der Roten Liste, weil er erst mit zehn Jahren geschlechtsreif wird und die Weibchen nach 18 bis 22 Monaten Trächtigkeit nur zwei bis zwölf 20 bis 30 cm lange Junge lebend gebären, was für Fische eine niedrige Fortpflanzungsrate bedeutet. Der Gewöhnliche Dornhai (Squalus acanthias) kommt weltweit in den wärmeren Meeresgebieten vor. Als er noch häufig im Sommer vor den Shetland-Inseln und im Winter vor Norwegen in Schwärmen von jeweils mehr als 1000 Exemplaren auftrat, gehörte er in den Schleppnetzen zum Beifang und wurde Lebertran aus seiner Leber gewonnen.

In manchen Gegenden wurden die Eier der Dornhaie aus den Weibchen herausgeschnitten und verzehrt. In der Küche werden Schillerlocken wie andere Räucherfische verwendet, zum Beispiel in kleine Stücke geschnitten als Einlage in Kartoffel-Lauch-Suppen oder in grünen Salaten oder in einem Linsensalat. Man kann sie natürlich auch wie Speck oder Räucheraal zum Brot verzehren: Schillerlocken schmecken ähnlich wie Aal, sind aber zarter und weicher.

Über die gleichnamigen Schaumrollen schreibt Udo Pini in "Das Gourmet-Handbuch": "Konditoren ahmen den Dralleffekt mit ihren schlagsahnegefüllten Blätterteigtüten nach." Ob die süße Schillerlocke tatsächlich nach dem Räucherfischprodukt benannt ist, wie Pini damit andeutet, oder ihr Name eigenständig von Schillers Haartracht abgeleitet wurde (dann also die ältere Bezeichnung oder vielleicht parallel entstanden wäre), ist deutschen Etymologiewerken nicht zu entnehmen, da sie weder die eine noch die andere Schillerlocke erwähnen.