Die Sanftheit des stürmischen Engels

13. März 2013 Rosemarie Schmitt
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Antonio Vivaldi, der von 1678 bis 1741 lebte, komponierte während seiner 63 Lebensjahre 20 (!) Oboenkonzerte. Er selbst war ein Meister des Violinspiels und beherrschte dies par excellence! In den höchsten Tönen wurden sie gelobt, seine solchen, doch auch die tieferen klangen sehr wohl! Die damalige Oboe hatte noch sehr viel mehr Ähnlichkeit mit der Schalmei als mit der heutigen Oboe.

Es war viel mehr eine Schalmei mit zwei oder drei Klappen. Ein eher schlichtes Instrument, jedoch mit einem sehr typischen Klang, der durch das Erzeugen des Tones mittels Doppelrohrblatt zustande kam, und noch immer kommt. Beim Bau der Instrumente experimentierte man mit verschiedenen Holzarten - und auch mit Elfenbein.

Im Jahre 1730 soll Vivaldi selbst dem Mailänder Instrumentenbauer Johann Maria Anciuti den Auftrag erteilt haben, eine ganz besondere Oboe anzufertigen. Die "Angelo di avorio", der "Engel aus Elfenbein", eine Oboe, vollständig aus Elfenbein geschnitzt. Zu jener Zeit machte sich noch niemand Gedanken darum, unter welchen Umständen das Elfenbein den Elefanten entrissen wurde, und was dies für die Tiere bedeutete. Jener "Elfenbein-Engel" habe durch seine Schönheit in Klang und Aussehen, sowohl die Musiker, als auch die Zuhörer verzaubert. Und auf einer Nachbildung einer solchen "Angelo di avorio" spielt er, der italienische Oboist Simone Toni, der versichert, das Instrument sei aus Altbeständen von Elfenbein entstanden.

Mit seinem Alte Musik-Ensemble Silete Venti spielte er nun die späten Oboenkonzerte von Antonio Vivaldi ein. "Vivaldi e l’Angelo di avorio", so der Titel der CD die bei dem Label Deutsche Harmonia Mundi (SONY Music) veröffentlicht wurde. Neben den Oboenkonzerten RV 457, RV 450, RV 448, RV 463 und RV 447 sind auf der CD auch die Sinfonia aus "Olimpiade" RV 725 sowie die Sinfonia aus "Griselda" RV 718 zu hören. Das Oboenkonzert RV 448 in C-Dur wurde erstmals auf Originalinstrumenten eingespielt.

Ich hörte die CD, ohne mich zuvor informiert zu haben, weder über den Solisten, noch über das Ensemble oder die Wahl der Instrumente. Wäre doch der Text im Booklett der CD ein wenig größer geschrieben... Und ja, es klingt auf sonderbare Weise anders, als alles was ich zuvor von Vivaldi hörte. Es scheint, als habe Vivaldi die Oboenliteratur revolutioniert, und kaum einer hat es bemerkt. Man entdeckt Passagen, wie sie nie zuvor für dieses Instrument konzipiert worden waren. Man hört die Liebe Vivaldis zu diesem Instrument und natürlich, wie in all seinen Werken, auch die zu "seinem" Venedig!

Wirklich beeindruckt bin ich von dem Oboisten Simone Toni und seinem Ensemble Silete Venti, denn sie setzen die Kompositionen Vivaldis so Seelen ergreifend um, daß ich gar nicht anders kann, als den Eindruck zu haben, daß Vivaldi es genau so interpretiert haben wollte. Alt und doch frisch, frech und sanft, stürmisch, kraft- und liebevoll, technisch brillant dennoch leicht, typisch barock und doch hör- und spürbar: der Drang zu einer neuen musikalischen Epoche.

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt