"Die Passion" von Clara Viebig

11. Januar 2013 admin
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Der Klappentext: In ihrem erstmals 1925 erschienenen Roman "Die Passion" schildert Clara Viebig den Leidensweg dreier an Syphilis erkrankter Menschen. Insbesondere das Schicksal der Tochter Eva führt die Hilflosigkeit der Betroffenen wie auch der Umwelt vor Augen, denen die Krankheit als anrüchig gilt und deren Verhalten von Abscheu, Ekel und Furcht erfüllt ist. In dem Maße, in dem die Passion zahlreiche Parallelen zu den heutigen Unsicherheiten im Umgang mit HIV-positiven Menschen aufweist, ist Clara Viebigs Roman erstaunlich aktuell.

Meine Gedanken zu dem Buch: Entspannen, in eine mir nicht vertraute und bekannte Welt eintauchen, informieren, lernen, unterhalten, berühren, Zeit vergessen, all das kann lesen bedeuten, und wenn man Glück hat, dies alles auf einmal. Clara Viebig zu entdecken war für mich solch ein Glück, und im vergangenen Jahr eine der erfreulichsten literarischen Erfahrungen. Ich las "Die Passion", den Roman, der den Leidensweg eines erkrankten Mädchens durch eine raffinierte Dramaturgie artikuliert, in einem Zug.

Dabei spricht Clara Viebig nicht nur auf die Vererbung einer Krankheit an, sondern lässt auch darüber nachdenken, ob nicht auch gewisse Verhaltensweisen von Vater Berndorff auf seinen Sohn vererbt sein könnten. Krankheit, Emanzipation, Arbeitslosigkeit, den Verlust der Heimat, die Auflösung familiärer Strukturen, Krieg und Tod, dies alles spricht sie an und aus!

Doch "Die Passion" ist kein "Leidensroman", die Schriftstellerin jammert nicht, sie klärt auf – schonungslos, offen und klug. Die psychische Belastung, sowohl durch die schier unmöglichen Heilungsaussichten, als auch durch die gesellschaftliche Ablehnung, die Schande, der Ekel, die Scham, die Angst und Hilflosigkeit, die Clara Viebig beschreibt, treffen auch heute mitten ins Herz. Unweigerlich wurde mir während des Lesens bewußt, wie sehr sich vieles wiederholt, wenn auch die Krankheit eine andere ist, heutzutage sind es die HIV-Infizierten, denen dies alles widerfährt.

Eine weiteres Thema des Romans ist die Problematik der alleinerziehenden Mutter. Viebig beschreibt unglaublich aktuell auch jene Situation, jene Probleme, die sich einstellen, wenn in das Leben von Mutter und Tochter ein neuer Partner, Ehemann und Stiefvater tritt. Den Begriff Patchworkfamilie mochte man 1925 noch nicht gekannt haben, die Probleme einer solchen gleichwohl. Ich verneige mich vor Clara Viebig für ihren Mut und ihre schriftstellerische Größe! Nein, üblich war es zu ihrer Zeit ganz gewiss nicht, solche Themen anzusprechen, oder gar über sie zu schreiben!

Mein Dank gilt ganz besonders den beiden Frauen, die für die Neuauflage dieses wundervollen "Berlin-Romanes" verantwortlich sind. Christel Aretz gehört zu den führenden Clara-Viebig-Spezialistinnen Deutschlands. Im Sommer 2012 brachte sie, gemeinsam mit der Germanistin Ina Braun, Clara Viebigs Roman "Die Passion" wieder heraus.

Inzwischen habe ich auch andere Werke Clara Viebigs gelesen. Seien es Novellen, Erzählungen, Romane - ihr Erzählstil fasziniert.

Die Passion von Clara Viebig
Christel Aretz und Ina Braun (Hrsg.)
Broschiert: 279 Seiten
Verlag: Bautz (6. August 2012)
ISBN-13: 978-3883097398
EUR 25,00