Die Leidenschaften eines Italieners

2. Oktober 2013 Rosemarie Schmitt
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Er hatte es nicht leicht, der Domenico, zum einen versuchte ihn sein gestrenger Herr Vater sehr lange in bestimmte musikalische Bahnen, nämlich seine eigenen, zu lenken, zum anderen musste er sich neben Zeitgenossen wie Bach oder Händel behaupten. Ich behaupte auch, und zwar, daß Domenico Scarlatti gut daran tat, sich dem musikalischen Einfluß (und nicht nur diesem) seines Vaters zu entziehen, um nach Lissabon zu gehen.

Er war bereits 34 Jahre alt, als er diesen Schritt tat. Sicher, es war gleichfalls bedauerlich, denn seine Kontakte in Italien waren die besten! So lernte er dort den berühmten Kastraten Nicolo Grimaldi kennen und trat den legendären musikalischen Wettstreit gegen Händel an. Beim Orgelspiel war er Händel klar unterlegen, doch auf dem Cembalo... Domenico war nun mal kein Opernkomponist, seine musikalische Liebe und Leidenschaft gehörte dem Cembalo.

Als Kapellmeister und Lehrer bestritt er nun also in Lissabon seinen Lebensunterhalt. Über diese Pflichten hinaus unterrichtete Scarlatti unter anderem auch die Tochter des Königs, Maria Barbara, die spätere Königin von Spanien, und jene erwies sich im Klavierspiel als sehr talentiert. Nachdem Maria Barbara den spanischen Kronprinzen geehelicht hatte, reiste Scarlatti im Gefolge der Prinzessin mit nach Spanien. Die beiden blieben ein Leben lang sehr verbunden, doch war es Maria Barbara nicht möglich (die Gründe sind mir ein Rätsel), dem Komponisten zu einem anständigen Posten am spanischen Hofe zu verhelfen.

Im Sommer des Jahres 1737 kam übrigens der große Farinelli nach Madrid. Unter der besonderen Gunst des Königspaares organisierte er einige Opernaufführungen bei Hofe, und sicherlich war auch Domenico Scarlatti anwesend. Möglicherweise gar samt seiner Gattin Maria Catalina. Als der 43jährige Scarlatti im Jahre 1728 die Italienerin zur Frau nahm, war sie 16 Jahre jung. In den elf Ehejahren gebar sie ihm 5 Kinder. Maria Catalina starb im Alter von 27 Jahren. Bald nach ihrem Tod heiratete Scarlatti ein zweites Mal und wurde Vater weiterer 4 Kinder.

Nach einigen Hin und Hers kehrte er 1729 nach Spanien zurück, um dort für den Rest seines Lebens zu bleiben. Er komponierte fortan weder Opern noch andere Vokalwerke, sondern widmete sich seiner wahren Leidenschaft, den Kompositionen für Cembalo. Nicht alle der 555 Cembalosonaten von Domenico Scarlatti sind zweifelsfrei für das Solo-Cembalo geschrieben worden. Ein Teil der Kompositionen sind sogar dezidiert als Triosonaten konzipiert: Sie verfügen über eine Generalbass-Begleitung, haben mehrere Sätze und eine bogenartige Artikulation, auch wenn dies vom Herausgeber der ersten kritischen Ausgabe der Werke Scarlattis, Alessandro Longo, geflissentlich übersehen wurde. Heute liegt die Vermutung nah, daß einige der Sonaten ursprünglich nicht für`s Cembalo, sondern möglicherweise für die Violine oder Mandoline geschrieben worden sind.

Auf der vorliegenden CD "Domenico Scarlatti Violin Sonatas" (Brilliant Classics) hat das italienische Barockorchester Capella Tiberina einige Sonaten Scarlattis – ganz im Geiste der barocken Aufführungspraxis – in wechselnden Besetzungen neu gedeutet. Cembalo, Theorbe, Barocklaute, Barockgitarre, Cello und sogar Perkussionsinstrumente kommen zum Einsatz. Was diese Aufnahme so besonders macht, sind nicht nur Scarlattis ausgesprochen ansprechenden Kompositionen, sondern zudem die Interpretationen, im Besonderen von Paolo Perrone (baroque violin) und Alexandra Nigito (harpsichord). Sanft aber ausdrucksstark, angemessen leidenschaftlich, technisch perfekt, musikalisch hinreissend, indes voller Respekt interpretieren sie Scarlatti, so, wie er es sicherlich gemocht hätte.

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt