Die Hochzeit von Sardine und Öl

12. September 2011 Kurt Bracharz
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Die immer schon nur über den Feinkosthandel aufzutreibenden sogenannten "Jahrgangssardinen" wurden früher gerne mit dem Argument beworben, in manchen Jahren schmeckten die Sardinen oder das Olivenöl (oder die Sardinen und das Olivenöl) besser als in anderen und deshalb sei es sinnvoll, diese Sardinen besonders sorgfältig zu behandeln, in Dosen zu verpacken, die mit einer schmucken Darstellung des Produktionsjahrgangs versehen wurden, und als "Sardines millésimes" oder "Jahrgangssardinen" zu verkaufen.

Seit die bretonischen Fischfabriken nun aber jedes Jahr Jahrgangssardinen herstellen, kann so natürlich nicht mehr argumentiert werden. Deshalb heißt es jetzt, dass eben ausgesucht schöne Exemplare der wohlgenährten Fische aus dem Septemberfang in echtes Extra vergine-Olivenöl eingelegt würden und dann in einem fünf bis acht Jahre dauernden Prozess in der Dose "reifen" – Letzteres beim Kunden zuhause, nicht wie der Wein beim Produzenten, weshalb junge Jahrgangssardinen nicht viel mehr kosten als "normale" Sardinen guter Qualität, und die höheren Preise für ältere Jahrgänge Sammlerpreise vor allem für die nette Aufmachung dieser Konserven sind. Der gebildete Sammler darf sich außerdem als "puxisardinophil" bezeichnen, was viel elitärer klingt als manches andere Wort mit der Endung –phil. Puxisardinophilie ist also die Liebe zu Jahrgangssardinendosen. Den ersten Edelsardinenclub mit eigenem Sardinenkeller und Verkostungen gründete übrigens Oscar Wildes Sohn Vyvyan Holland.

Die Jahrgangssardinen aus der Bretagne sollen von den besten Fängen im September stammen, sie werden nicht schockgefroren wie andere Fische, und nur von Hand ausgenommen sowie geschuppt und vor dem Einlegen in Dampf gegart. Sie werden auch nicht wie die sprichwörtlichen Ölsardinen in die Dose gepresst, sondern es liegen circa vier Fischchen locker im hochwertigen Olivenöl (ein anderes Öl kommt von vornherein nicht in Frage, schon gar nicht das meist schamhaft nur als anonymes "Pflanzenöl" bezeichnete Sojaöl der Billigware), das sie im Laufe der Zeit gut durchtränken kann. Dass Haut und Gräten im Öl weich werden, kann man ja auch an den üblichen Sardinenkonserven feststellen; vom Geschmack her wirken sich Haut und Gräten positiv aus, auch wenn entgrätete hautlose Sardinen wegen des Arbeitsaufwands teurer sind.

In die Jahrgangssardinen-Dosen kommt nur noch Meersalz, keine weitere Zutat. Beim Eindosen müssen Druck und Temperatur niedrig gehalten werden, sonst ist keine "Reifung" möglich. Dann kauft der Puxisardinophile seine Sardinendosen im Feinkosthandel, zum Beispiel bei Hédiard oder Fauchon in Paris, im KaDeWe in Berlin, bei Dallmayer in München und bei Böhle in Wien, oder dort, wo heute alle kaufen, im Internet also, in Deutschland bei Bos Food, in Österreich bei Luculta. Eine gute Übersicht über Jahrgänge und Preise gewinnt man durch http://www.pennsardin.com/puxi/puxi.php. Damit das Öl "auch überall hinkommt", sollten die Dosen alle drei bis vier Monate gewendet werden.

In verschiedenen Sternerestaurants werden die mindestens sechs Jahre alten Sardinen (vorher schmecken sie höchstwahrscheinlich wie irgendwelche anderen in Olivenöl eingelegte Sardinen auch; und diese ihrerseits nach sechs Jahren wie Jahrgangssardinen) in der geöffneten Dose auf einem Teller serviert. Zu Hause wird man sie vielleicht doch eher aus der Dose nehmen, weil man ja niemandem demonstrieren muss, worum es sich handelt. Das Dosenöl hat seine Schuldigkeit getan, man gießt es weg und gibt etwas frisches Öl (natürlich von bester Qualität, sonst ist es sinnlos) an die Fische. Die Begleiter der "Hochzeit von Sardine und Öl" (so heißt es in einer Jahrgangssardinen-Werbung) kommen ganz in Weiß: Weißbrot und Weißwein.

In Österreich bekommt man bei Luculta (http://www.luculta.com) Jahrgangssardinen der bretonischen Manufaktur "La Quiberonnaise". Andere bekannte Marken sind Capitaine Cook, Ville bleue und La Perle de Dieux.