Die Abenteuer der Ligne claire

Mit der weltbekannten Abenteuerserie "Tim und Struppi" hat der belgische Zeichner Hergé einen Meilenstein der Comicgeschichte geschaffen und gleichzeitig den Stil der Ligne claire geprägt und perfektioniert. Unter dem Titel "Die Abenteuer der Ligne claire. Der Fall Herr G. & Co." präsentiert das Cartoonmuseum Basel die wichtigsten Vertreter dieses so populären wie anspruchsvollen Stils mit Originalzeichnungen – von den Anfängen über die Hochblüte in der Mitte des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart zu den aktuellen Schweizer Künstlern.

Alle kennen den schnellen und schlauen Reporter Tim, seinen aufgeweckten Hund Struppi und den Schöpfer und Erfinder ihrer Abenteuer, den belgischen Zeichner Hergé (1907–1983). Die Aufgeräumtheit und perfekte Lesbarkeit seiner Bildfolgen erreichte Hergé mit äusserst realistischen Szenerien, die durch das kontrollierte Weglassen von Details noch an Schärfe gewinnen. Sein berühmter, so prägnanter wie prägender Zeichenstil mit den präzisen Konturen und den flächigen, einfarbigen Kolorierungen ist bis heute Inspirationsquelle und Massstab für Comiczeichner auf der ganzen Welt. Der Niederländer Joost Swarte, selbst ein Meister dieses Stils, hat 1977 den Begriff Ligne claire eingeführt und damit alle Comics elegant zusammengebunden, die sich an Hergés unverwechselbarem Strich und seiner geradlinigen Erzählweise orientieren.

Hergé hat die Ligne claire zur Perfektion geführt, den Stil aber nicht völlig neu geschaffen. Ausgehend von den zeitgleichen Entwicklungen im Comicgenre sowie in anderen Bereichen, etwa in der Grafik, der Malerei, der Mode, dem Design oder der Architektur, erarbeitete er ab den 1930er-Jahren schrittweise sein System von Grafik und Erzählungen, das einen enormen Einfluss auf den frankobelgischen Comic bekommen sollte. Zu seinen Vorbildern zählte Hergé die amerikanischen Zeichner, deren Klarheit er bewunderte. Er bezog sich vor allem auf George McManus und sein "Bringing Up Father" mit seinen puristischen, dem Art déco verwandten Hintergründen und seinem dokumentarischen Ansatz.

Ein Meilenstein in der Geschichte der Ligne claire war 1948 die Gründung des belgischen Wochenmagazins "Tintin", das überaus erfolgreich war. Die Figur des Tim war in diesem Heft stark vertreten. Als künstlerischer Leiter des Hefts beeinflusste und formte Hergé dort Zeichner und Autoren wie Edgar P. Jacobs ("Blake und Mortimer"), Jacques Martin ("Alix"), später Willy Vandersteen ("Suske und Wiske"), Albert Weinberg ("Dan Cooper") und Bob de Moor ("Barelli"), die zum Teil später auch für die Hergé-Studios arbeiteten. In den 1980er-Jahren kam es zu einem Revival der Ligne claire. Die Ästhetik der amerikanischen Underground-Comics, die mit einer Wandlung der bisherigen Codes einherging, schwappte nach Europa über und inspirierte zahlreiche Zeichner, die diese Neuerungen aufnahmen und mit der klassischen Strichführung und Erzählart der Ligne claire verschmolzen.

Es ist nicht verwunderlich, dass Joost Swarte, von den liberalen Niederlanden, zu einem zentralen Vermittler der Ästhetik der Ligne claire und von neuen Inhalten wurde; er hatte den Begriff ja auch eingeführt. Er übernahm Hergés Strichführung, münzte ihren Sinn aber subversiv um und wandte sie auf eine verrückte und gleichzeitig strukturierte Welt an. In Frankreich waren die Hauptvertreter dieser neuen Richtung Ted Benoit ("Ray Banana"), Floc’h (sein von Jacobs beeinflusstes Album "Begegnung in Sevenoaks" entstand in Zusammenarbeit mit dem Szenaristen François Rivière) und Serge Clerc, der eine weniger offensichtliche und kantigere Ligne claire entwickelte ("Mord im Leuchtturm"). Hier ist insbesondere auch Yves Chaland zu nennen, dessen Vorbilder an der Grenze von Ligne claire und dem von André Franquin vertretenen "Atomstil" liegen: sein junger Abenteurer "Freddy Lombard" gleicht halb Tim, halb Spirou.

Bis heute ist die Ligne claire ein Labor geblieben, in dem auch der Schweizer Exem aus Genf oder der Zürcher Christophe Badoux experimentieren. Exems "Der unheilvolle Zwilling" ("Le Jumeau maléfique"), eine Hommage an Hergés Stil bei dessen Tod 1983, führte ihn zur Parodie, einem Genre, das er meisterhaft beherrscht. Er zeichnet mit zahlreichen Verweisen und einer konsequenten Strichführung, die er wie Hergé aus einer Fülle von Bleistiftskizzen herausarbeitet. Badoux hingegen hat mit einer unverwechselbar eigenwilligen Outline seine ureigene Version der Ligne claire erfunden. Präsentiert werden zudem Klassiker wie der Zürcher Robert Lips, dessen Globi seit den 1930er-Jahren durch Schweizer Kinderzimmer reimt, und die beiden Genfer Daniel Ceppi und Aloys, die sich in den 1970er-Jahren der Ligne claire und Hergés Erbe annäherten. In "Le Guêpier" ("Das Wespennest") gab Ceppi dem realistischen Abenteuercomic à la Tintin ein neues Gesicht. Aloys nannte seine Heldinnen in Anlehnung an Hergés Figuren Quick et Flupke, Quickett’ und Flupkette.

Neben der Ausstellung bietet das Cartoonmuseum Basel – u.a. in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus Basel im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals BuchBasel – in Führungen, Gesprächen mit Experten und Vermittlungsprogrammen für Schulen Möglichkeiten, sich eingehend mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Die Abenteuer der Ligne claire
Der Fall Herr G. & Co.
26. Oktober 2013 bis 9. März 2014