Dialog der Meisterwerke

Vom 7. Oktober 2015 bis zum 24. Januar 2016 werden ausgewählte Städel Werke mit 65 Meisterwerken aus den renommiertesten Museen der Welt zusammengebracht, die während der Ausstellung mit ihnen in einen "Dialog der Meisterwerke" treten. Die herausragenden Arbeiten aus dem Städel stellen einen Querschnitt der Geschichte des Hauses dar und bieten zugleich einen Überblick über die in 200 Jahren gewachsene Sammlung. Internationale Begleiter werden ihnen an die Seite gestellt, um temporäre Partnerschaften und lang ersehnte Zusammenkünfte zu ermöglichen.

Die Schau erstreckt sich über alle vier Etagen und Sammlungsbereiche des Städel. So begegnet der Besucher beim Rundgang durch das Museum in der Sammlung Alte Meister prominenten "Gästen" wie Jan van Eyck, Fra Angelico, Johannes Vermeer oder Nicolas Poussin, die in enger Beziehung zu Werken aus der Städelschen Sammlung stehen. In der Sammlung Kunst der Moderne reisen Meisterwerke von Edgar Degas, Max Liebermann, Pablo Picasso und Franz Marc an, und in der Sammlung Gegenwartskunst sind unter anderem Konstellationen mit Arbeiten von Martin Kippenberger, Georg Baselitz, Thomas Struth, Daniel Richter und Corinne Wasmuht zu entdecken.

Die Graphische Sammlung präsentiert – Seite an Seite mit Städel-Schätzen – Meisterwerke von Adam Elsheimer, Edgar Degas, Ernst Ludwig Kirchner, Max Beckmann und Rembrandt Harmensz. van Rijn. Die insgesamt 40 auf diese Art gebildeten thematischen Paarungen werden durch eigens konzipierte farbige Podeste verbunden, sodass die entstehenden Dialoge nicht nur erläutert, sondern innerhalb der Sammlungspräsentationen besonders hervorgehoben werden.

In der Galerie für Alte Meister trifft etwa das aus der National Gallery of Art in Washington angereiste Werk "Verkündigung an Maria" (um 1434/36) von Jan van Eyck (1390–1441) auf dessen Lucca-Madonna (1437) aus dem Städel. Die beiden Gemälde zählen zu den schönsten und inhaltlich komplexesten Marienbildern des bekanntesten altniederländischen Künstlers. Auch fast 600 Jahre nach ihrer Entstehung werden sie noch für ihre reiche künstlerische Gestaltung bewundert; sie zeichnen sich durch einen verblüffenden Detailrealismus und eine vielschichtige Raum- und Zeitstruktur aus. Bis 1850 befanden sich beide Werke in der glanzvollen Altmeistersammlung König Willems II. der Niederlande, nun sind sie erstmals nach 165 Jahren Seite an Seite zu sehen.

Eine nicht minder spektakuläre Zusammenkunft bilden zwei Frauenporträts aus dem 15. und 19. Jahrhundert: Dem um 1480/85 entstandenen "Weiblichen Idealbildnis" (Bildnis der Simonetta Vespucci als Nymphe) von Sandro Botticelli (1445–1510) wird das Damenbildnis Fazio’s Mistress (Aurelia) (1863) von Dante Gabriel Rossetti (1828–1882) aus der Londoner Tate als Pendant gegenübergestellt. Damit treffen nicht nur erstmals zwei der berühmtesten Werke ihrer jeweiligen Sammlungen aufeinander, der unmittelbare Vergleich veranschaulicht auch erstaunliche Bezüge über eine Distanz von fast vier Jahrhunderten hinweg: Auf welch vielschichtige Weise das Gemälde des Präraffaeliten Rossetti die Simonetta von Botticelli kompositorisch reflektiert, blieb bislang unerkannt und wird in der direkten Gegenüberstellung eindringlich erfahrbar. Beide Bilder stehen im Kontext eines literarischen und künstlerischen Diskurses um das Idealbild weiblicher Schönheit, den die Präraffaeliten in Auseinandersetzung mit ihren italienischen Vorbildern wiederbelebten.

Kaum ein anderes Gemälde des Städel Museums ist in der Öffentlichkeit so präsent wie Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins (1751–1829) "Porträt Goethe in der römischen Campagna" von 1787. Von Zeugnissen der Antike umgeben lagert der in einen Reisemantel gehüllte Dichterfürst hier sinnend in einer arkadischen Ideallandschaft. Anlässlich der Ausstellung wird dieses Herzstück der Frankfurter Sammlung mehreren Vorstudien gegenübergestellt. Zudem zeigen auf das Gemälde rekurrierende Werke einmal mehr die Beliebtheit des zur Ikone gewordenen, weltberühmten Goethe-Porträts. Tischbein begann das Bild 1786, als Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) während seiner Italienreise gemeinsam mit ihm und anderen Künstlern in einer Wohngemeinschaft in Rom lebte. In späteren Darstellungen wurde das Gemälde immer wieder teils ehrfürchtig, teils ironisch zitiert, darunter in einem von Adolf von Donndorf (1835–1916) angefertigten Entwurf für das Berliner Goethe-Denkmal sowie dem 1982 entstandenen und seit 2000 in der Städel Sammlung befindlichen Siebdruck von Andy Warhol (1928–1987).

In der Sammlung Kunst der Moderne treffen des Weiteren drei eng verwandte Arbeiten der expressionistischen Künstler Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), Max Pechstein (1881–1955) und Erich Heckel (1883–1970) aufeinander. Entstanden sind die drei Darstellungen einer Badeszene vermutlich 1910 während eines gemeinsamen Aufenthaltes an den in der Nähe von Dresden gelegenen Moritzburger Teichen. Die in einem synchronen Arbeitsprozess geschaffenen Werke stellten eine Art Wettstreit unter Gleichen dar, in dem jeder der Maler sein eigenes Potenzial an dem seiner Kollegen messen konnte. Kirchners später überarbeitete Version befindet sich auf einer beidseitig bemalten Leinwand und wurde erst 2010 entdeckt. Die Arbeiten werden im Rahmen der Ausstellung zum ersten Mal gemeinsam präsentiert und bieten eine einzigartige Möglichkeit, die Protagonisten der Künstlergruppe "Brücke" unmittelbar in einen spannenden Vergleich zu setzen.

Das Frühwerk des Malers Georg Baselitz (1938) wird durch die Zusammenführung der Werke "Geschlecht mit Klößen" (1963) und "Große Nacht im Eimer" (1962/63) (Leihgaben aus Privatsammlungen) mit dem Gemälde "Acker" (1962) aus der Sammlung des Städel Museums als bedeutender Moment westdeutscher Malereigeschichte im 20. Jahrhundert präsentiert. Die im Rahmen des "Dialogs der Meisterwerke" gezeigten Werke waren allesamt Teil von Baselitz’ erster Einzelausstellung 1963. Aufgrund ihrer malerischen Radikalität riefen sie einen legendär gewordenen Skandal hervor. Die Diskussion über die ausgestellten Bilder avancierte zum Politikum – es folgte die Beschlagnahmung von Gemälden wie "Die große Nacht im Eimer" (1962/63). Der Ideologiestreit um abstrakte und gegenständliche Malerei in der jungen Bundesrepublik kulminierte in den provokanten Gemälden Baselitz’, in denen das Fleischliche formal wie inhaltlich in den Vordergrund rückt und sich die Befindlichkeit der deutschen Nachkriegszeit zu spiegeln scheint – eine eindrucksvolle Begegnung mit dem epochalen Frühwerk von Georg Baselitz wird möglich.

Eine andere Gruppierung in der Sammlung Gegenwartskunst thematisiert im Jubiläumsjahr des Städel das Museum als Institution: Aus Sicht des Fotografen Thomas Struth (1954) ist das Museum nicht nur ein Ort des Bewahrens von Kunst, sondern auch einer, an dem Kunst entsteht. Der in der Städel Sammlung befindlichen Fotografie "Louvre 3, Paris 1989" (1989) werden anlässlich der Jubiläumsausstellung fünf weitere Arbeiten (Leihgaben aus dem Atelier Thomas Struth) aus seiner Werkreihe der Museumsbilder gegenübergestellt, die in der National Gallery in London, dem Kunsthistorischen Museum in Wien und dem Art Institute of Chicago entstanden sind. Struth machte das Verhalten von Besuchern und die Beziehung zwischen Werk und Betrachter zum Thema seiner Reihe. Die Bandbreite der Szenen reicht von der gleichgültigen Haltung touristischer Besuchergruppen bis hin zur meditativen Versenkung eines einzelnen Kunstbetrachters, etwa zu sehen in dem 1989 entstandenen Werk "Kunsthistorisches Museum 3, Wien". Der serielle Charakter der Werke wird durch die Gegenüberstellung besonders hervorgehoben.

In der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung treffen beim "Dialog der Meisterwerke" außergewöhnliche Zeichnungen, Gemälde und Druckgrafiken aufeinander. So werden unter anderem zwei Werke des Ende des 16. Jahrhunderts äußerst geschätzten Kupferstechers und Zeichners Hendrick Goltzius (1558–1617) gegenübergestellt, die die erstaunliche Entwicklung von Goltzius’ Fähigkeiten in der Zeichentechnik innerhalb weniger Jahre zeigen. Aus der Sammlung des Stifters Johann Friedrich Städel stammt die virtuose Zeichnung "Bildnis des Gillis van Breen", die Goltzius 1588 mit farbigen Kreiden anfertigte. Das drei Jahre später entstandene Bildnis des Giambologna aus dem Haarlemer Teylers Museum verdeutlicht, dass Goltzius mit sparsamsten Mitteln eine verblüffend malerische Wirkung erzielen konnte.

Einen weiteren Dialog gehen zwei grafische Arbeiten des Ausnahmekünstlers Pablo Picasso (1881–1973) ein. Auf sein bewegtes, produktives Leben verwies der Künstler mit Darstellungen des Minotaurus, der ihm zum Alter Ego wurde. Die Figur des Minotaurus ließ Picasso in Zeichnungen und Druckgrafiken auftreten, wobei ihn weniger die Sage interessierte. Stattdessen war er fasziniert von der männlichen Kreatürlichkeit, die er mal animalisch, triebhaft und kraftvoll, mal zärtlich und hilfsbedürftig darstellte. Die beiden im Städel ausgestellten Grafiken aus der Suite Vollard veranschaulichen den Zwiespalt von Stärke und Schwäche in der Figur des Minotaurus auf hervorragende Weise. In der aus Privatbesitz geliehenen Grafik "Minotaurus, eine schlafende Frau liebkosend" aus dem Jahr 1933 kniet der Minotaurus vor einer ruhig Schlafenden und beugt seinen muskulösen Körper über sie. Der bedrohlich wirkende Stierkopf kontrastiert mit der irritierend zärtlichen Geste, mit der das Untier den Handrücken der Frau berührt. Diesem Werk wird die aus der Städel Sammlung stammende Grafik "Blinder Minotaurus, von einem Mädchen durch die Nacht geführt" (1934) gegenübergestellt, die aus technischer Sicht zu den anspruchsvollsten Grafiken des Künstlers zählt. Der Inszenierung einer Theaterbühne gleich wird die Komposition von Licht und Dunkelheit getragen.


Katalog: Zur Ausstellung erscheint im Wienand Verlag ein umfassender, von Max Hollein herausgegebener Katalog mit einem Vorwort von Max Hollein und Texten von Jana Baumann, Bastian Eclercy, Martin Engler, Anna Helfer, Felicity Korn, Felix Krämer, Kristina Lemke, Eva Mongi-Vollmer, Maureen Ogrocki, Susanne Pollack, Almut Pollmer-Schmidt, Annabel Ruckdeschel, Jochen Sander, Jutta Schütt, Martin Sonnabend, Fabian Wolf und Daniel Zamani, deutsche und englische Ausgabe, 280 Seiten, 34,90 Euro (Museumsausgabe)

Dialog der Meisterwerke
7. Oktober 2015 bis 24. Januar 2016