Diagonale Graz 2011

23.700 Besucher zählte heuer die Diagonale in Graz, dies entspricht einer Auslastung von 72%. Intendantin Pichler zeigte sich erfreut, dass in diesem Jahr viele weibliche Filmschaffende ausgezeichnet wurden. Auffallend war der Trend weg von spektakulären Geschichten und hin zum normalen Leben in unserer modernen Umwelt. So etwa im preisgekrönten Dokumentarfilm "Nachtschichten" oder im ebenfalls viel beachteten "Abendland".

Die digitale Technik erlaubt nun, wie vor allem diese beiden Beispiele zeigen, Nachtaufnahmen (fast) ohne Zusatzbeleuchtung, wie sie noch vor einigen Jahren unmöglich gewesen wären und in der Projektion sind 35mm und digitales Kino kaum noch zu unterscheiden. 
Das Kinojahr 2010 war eher schwach was Spielfilme angeht, aber umso stärker zeigte sich der Dokumentarfilm, der ja in den letzten Jahren auch internationale Beachtung fand. So hat Nikolaus Geyrhalter in "Abendland" ohne jeden Kommentar nächtliche Szenen aus Europa aneinander gereiht und lässt den Zuseher sich darin selbst einen Sinn finden. Es geht um System erhaltende Arbeiten, die besser in der Nacht gemacht werden, wie das Abschieben von Asylanten und die Überwachung der Grenzen, aber auch um nächtliche Feiern und Freuden.
 In kalten Berliner Winternächten gedreht hat Ivette Löcker "Nachtschichten", ähnlich wie in "Abendland" gibt es hier keine Freaks oder den Straßenstrich zu sehen, sondern eher normale nachtaktive Menschen: von Sprayern, die sich als Künstler sehen, über die Polizisten, die sie aufzuspüren versuchen oder obdachlos gewordene Mittelständler, die eine Schlafstätte suchen bis hin zu Nachtwanderern und Sicherheitsleuten mit einem Herz für Tiere. Der Film erhielt den Dokumentarfilmpreis. "Empire Me" von Paul Poet dokumentiert Mikrostaaten und andere in sich geschlossene Gesellschaften als denkbaren Ausweg aus der Krise der großen globalen Systeme. Im Herbst kommt dieser Film, an dem Poet acht Jahre arbeitete, in die Kinos. Auch in Sachen Spielfilm sahnte eine Regisseurin alle Preise ab: Marie Kreutzer mit "Die Vaterlosen". Nachdem es in den Vorjahren alle möglichen Dokumentarfilme über Kommunen und deren Kinder gab, wird hier in einem Spielfilm das Thema an Hand eines Familientreffens aus Anlass des Todes des Kommunenoberhauptes abgehandelt. In vielen Rückblenden arbeiten die echten und vermeintlichen Kinder ihre Geschichte auf, die nicht ohne Verletzungen geblieben ist. Der Publikumspreis ging an den Dokumentarfilm "Schwarzkopf" von Arman T. Riahi. Nazar ist Rapper. Und Nazar ist Schwarzkopf, also männlich, jung und mit migrantischem Background. Viele seiner Freunde sind arbeitslos und gelegentlich mit dem Gesetz in Konflikt – auch Nazar selbst muss während der Dreharbeiten in Untersuchungshaft. 
Sabine Derflinger wartete mit gleich zwei Arbeiten auf. Neben ihrem Spielfilm "Tag und Nacht", in dem zwei Freundinnen als Callgirls arbeiten und sich anfangs als Göttinnen über die Männer fühlen, dann aber doch aussteigen wollen, brachte sie mit "Hot Spot" auch eine sehr realistische Dokumentation über sozialökonomische Projekte des AMS nach Graz. Berührend war die rumänisch-österreichische Produktion "Periferic / Outbound" über eine Frau, die einen eintägigen Freigang aus dem Gefängnis für ihre Flucht und Abrechnung nutzen will, dann aber von ihrem inzwischen ebenfalls kriminell gewordenen Sohn ausgeraubt wird. Norbert Fink