Diagonale 2014: Gefährdete Vielfalt

24. März 2014
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Vor allem der österreichische Dokumentarfilm präsentierte sich bei der heurigen Diagonale ausgesprochen vielfältig, aber mit Anna Martinetz´ "Fräulein Else" und Johanna Moders "High Performance – Mandarinen lügen nicht" gab es neben Ludwig Wüsts "Abschied" auch zwei starke Spielfilme zu entdecken. Doch ORF-Kürzungen gefährden die Blüte des österreichischen Films, der im letzten Jahrzehnt mit zahlreichen Auszeichnungen bei internationalen Festivals und zwei Oscar-Gewinnen Weltgeltung erlangte.

Nicht nur den Festival-Trailer, sondern auch ein Video zahlreicher österreichischer Filmschaffender, in dem sie vor der Streichung der Refundierung von 25% der ORF-Gebühren an den österreichischen Film warnen, lief auf der Diagonale immer wieder vor den Hauptfilmen. Mit dem Wegfallen dieser Förderung werde nicht nur der österreichische Film in seiner Existenz bedroht, sondern würden auch bis zu 1500 Arbeitsplätze gefährdet. Mit klaren Worten rufen die Filmschaffenden Regierungsparteien und ORF zum Umdenken auf und fordern das Publikum zum Unterzeichnen der Petition auf.

Abgewürgt würde wohl mit dem Ausfall dieser finanziellen Mittel das österreichische Filmwunder, dessen Reichtum und Vielfalt die heurige Diagonale wieder eindrucksvoll belegte. Vor allem zeigte sich wieder, dass der österreichische Film eben nicht von zwei oder drei großen Namen lebt, sondern dass die breite Basis und jährlich neu sprießende Talente seine Stärke sind.

Während sonst meist mit Blick auf den österreichischen Film vom Spielfilm die Rede ist, zeigte sich in Graz besonders der Dokumentarfilm erstaunlich stark, vor allem aber vielfältig. So arbeitet Gloria Dürnberger in "Das Kind in der Schachtel" sehr persönlich und offen, die Beziehung oder Nicht-Beziehung zu ihrer psychisch kranken Mutter auf, die ihr Kind im Alter von acht Monaten an Pflegeeltern abgab.

Mit der ersten Szene, in der die Regisseurin die Mutter telefonisch fragt, ob sie sie filmen dürfe, packt dieser Film den Zuschauer mit seiner Unmittelbarkeit. Doch trotz der Nähe wird dies nie exhibitionistisch oder voyeuristisch, denn man spürt stets, dass diese filmische Aufarbeitung ein echtes Anliegen der Regisseurin ist und es ihr nicht um Selbstdarstellung geht.

Dürnberger bietet nicht nur Einblick in die schwierige Beziehung zu ihrer Mutter, die mal zugänglicher und dann wieder abweisender ist, sondern macht auch im Blick auf ihre Pflegefamilie deutlich, wie wichtig und wohltuend Geborgenheit und Zärtlichkeit sind und stellt eindrücklich der biologischen Mutter eine echte Mama gegenüber.

Gleichzeitig gewinnt die Regisseurin in der Auseinandersetzung mit der Mutter und ihren Recherchen auch Einblick in deren schwierige Familiensituation, macht einen Super-8-Film ausfindig, der die Mutter als glückliche und lebensfrohe junge Frau zeigt, bis – nicht zuletzt durch den Tod eines Freundes und eine unglückliche Beziehung – ihre Krankheit ausbrach.

Über die persönliche Aufarbeitung hinaus weitet sich "Das Kind in der Schachtel" gerade durch den radikal persönlichen Zugang zum berührenden, aber durchaus auch witzigen universellen Diskurs über Familie, Verwurzelung und die Bedeutung einer echten Bezugsperson für ein Kind.

Gegenpol zu Dürnbergers mit dem Publikumspreis der Kleinen Zeitung ausgezeichneten Film stellt "Everyday Rebellion" dar, in dem die Brüder Arash und Arman T. Riahi Formen des gewaltlosen Protestes rund um den Globus dokumentieren. Von der Occupy-Bewegung bis zu den feministischen Femen in der Ukraine, von den Indignados in Spanien bis zum leisen Protest im Iran spannt sich der Bogen.

Der jeweilige politische Hintergrund wird kaum beleuchtet, der Fokus liegt ganz auf der Schilderung der kreativen Methoden des Protests vom nackten Oberkörper der Femen als Protestfläche bis zum Weitersagen der Botschaft durch Wiederholen der Occupy-Bewegung, um sich an Orten Gehör zu verschaffen, an denen Megaphone verboten sind.

Oberflächlich bleibt dieser als Teil eines Crossmedia-Projekts, zu dem auch soziale Netzwerke und ein Webportal gehören, angelegte Film zwar in der Fülle, mag im Switchen zwischen den einzelnen Schauplätzen auch nicht Vergleichbares zusammenpressen, hat aber durchaus seine Bedeutung als Zeitdokument.

Ganz auf eine Institution konzentriert sich dagegen Johannes Holzhausen, der in "Das große Museum" im Direct-Cinema-Stil eines Frederick Wiseman das Kunsthistorische Museum in Wien erkundet. Auf jeden Kommentar und Interviews wird verzichtet, Holzhausen beschränkt sich darauf zu beobachten, entwickelt dabei durch Überspitzung immer wieder Witz, wenn beispielsweise die Kamera in rasender Steadycam-Fahrt einem Angestellten auf Scooter durch die Verwaltungsräume zum weit entfernten Kopierer folgt.

Auf Unterschiedlichstes blickt Holzhausen, zeigt Reinigungsdienst und die akribische Arbeit der Restauratoren ebenso wie Budgetsitzungen und Diskussionen zu Logo und Marketing, macht fehlende Kommunikation, strenge Hierarchien und das Spannungsfeld zwischen kaiserlicher Habsburger-Tradition und heutiger Republik sichtbar. Doch im Gegensatz zu Wiseman gelingt es Holzhausen nicht wirklich Momente zu verdichten, lässt eine klare Dramaturgie vermissen und reiht recht beliebig Szenen aneinander, sodass sich die Teile nicht zu einem großen Ganzen fügen wollen.

Bei den Spielfilmen konnte man neben den schon in den Kinos gestarteten Genrefilmen "Blutgletscher" und "Das finstere Tal" sowie Götz Spielmanns "Oktober November" mit Anna Martinetz´ Abschlussfilm für die Filmhochschule München "Fräulein Else" eine ungewöhnliche Schnitzler-Adaption entdecken.

Martinetz verwendet weitgehend den Text von Schnitzlers 1924 erschienener Monolog-Novelle, verlegt die Handlung aber einerseits in die Gegenwart, andererseits von einem italienischen Grand Hotel in ein indisches Hotel aus der Kolonialzeit.

Irritationen und eine traumartige Atmosphäre erzeugt Martinetz einerseits durch den Kontrast von literarischem Text und Bildern, die immer wieder überbelichtet sind oder sehr geringe Schärfentiefe besitzen, aber auch durch die Zurücknahme des Tons in einzelnen Szenen und ungewöhnlichen Musikeinsatz von Bollywood-Klängen bis Gershwins zu "Summertime".

Dazu kommt aber auch das Spiel mit dem Gegensatz zwischen exklusivem Hotel und Oberschicht auf der einen Seite und armer indischer Dorfbevölkerung auf der anderen, Wiederholungen von Szenen sowie ein überraschendes Einsprengsel mit einem Karnevalsbesuch von Angela Merkel oder ein sich dem Hotel langsam nähernder Tiger. – Kein leichter Film ist das, aber ein formal aufregender, der mit Spannung auf weitere Arbeiten dieser Regisseurin warten lässt.

Zugänglicher ist Johanna Moders "High Performance – Mandarinen lügen nicht", der schon beim Max Ophüls-Wettbewerb den Publikumspreis gewonnen hat und sich durchaus auch in den Kinos zum Publikumserfolg entwickeln könnte. Nicht eben neu und originell ist die Geschichte von zwei Brüdern mit völlig konträren Lebensentwürfen. Doch wie Moder ironisch überspitzt auf den Firmenchef Rudi und den wenig erfolgreichen Schauspieler Daniel blickt und dazu noch als drittes Lebensmodell eine Hippie-Kommune mit Trommel-Kursen, Sitzkreis und Lagerfeuer-Romantik karikiert, wendungsreich und flott die Handlung vorantreibt und auch in den Nebenrollen treffliche Typen zeichnet, macht nicht zuletzt aufgrund der sichtlichen Spielfreude des Ensembles großen Spaß.

Der Große Diagonale-Preis des Landes Steiermark für den besten Spielfilm ging aber an Houchang Allahyaris Alzheimer-Drama "Der letzte Tanz", während als bester Dokumentarfilm mit Ruth Beckermanns "Those Who Go Those Who Stay" ein assoziativer Essayfilm zum Thema Migration ausgezeichnet wurde.