Diagonale 2014: Die Gegenwart des Vergangenen

21. März 2014
Bildteil

Sowohl Elfi Mikesch als auch Ludwig Wüst erzählen in ihren neuen, bei der Diagonale in Graz präsentierten Spielfilmen davon, wie die Vergangenheit die Gegenwart beeinflusst. In Mikeschs "Fieber" setzt sich eine Fotografin mit ihrer Kindheit und ihrem verstorbenen Vater auseinander, in Wüsts "Abschied" wirft die Erinnerung an eine mehr als 30 Jahre zurückliegende große Liebe eine verheiratete Frau zumindest vorübergehend aus der Bahn.

Nach der Uraufführung bei der Berlinale feierte Elfi Mikeschs "Fieber" bei der Diagonale in Graz seine Österreichpremiere. Im Mittelpunkt steht die Fotografin Franziska (Eva Mattes). Auf der Gegenwartsebene bricht sie zu einer Reise ins serbische Novi Sad auf, um etwas über die Kindheit ihres Vaters zu erfahren. Gleichzeitig erinnert sie sich an ihre eigene Kindheit in den 1950er Jahren, die ganz von der Beziehung zum Vater geprägt war.

Vielschichtig und sensibel wird dieser ehemalige Fremdenlegionär von Martin Wuttke gespielt, ist einerseits liebevoller Vater, andererseits aber auch, geprägt durch Schule und Kriegsdienst, von unerbittlicher Härte, züchtigt seine Tochter mit einem Ledergürtel und missbraucht sie. Als vom Krieg gezeichneten, an einem Fieber der Schwermut und Unberechenbarkeit leidenden Mann zeichnet Mikesch ihn. Schon in ihrer Kindheit versuchte Franziska etwas über das Leben dieses Vaters zu erfahren, der in den 1920er Jahren in Marokko, Algerien und Syrien kämpfte. Sie studierte dessen Fotos und imaginierte Kollegen des Vaters, die ihr vom Krieg erzählen.

Berückend schön ist das fotografiert, sicher im Wechsel zwischen Gegenwart und Kindheit, von der durch Fotos und Erzählungen der Traumgestalten nochmals weiter in die Vergangenheit zurückgeblendet wird. Stark sind die Fotos von geschlachteten Tieren, die Franziska macht und die Erinnerungen an die Tätigkeit des Vaters als Gehilfe eines Metzgers in der Nachkriegszeit, aber auch an das Abschlachten von Menschen im Krieg wecken.

Doch zu schwach bleibt die von Eva Mattes gespielte erwachsene Franziska und die Gegenwartsebene insgesamt, als dass "Fieber" wirklich packen könnte. Auch die Bezugnahme auf den Jugoslawienkrieg und die psychischen Folgen heutiger Kriege wirkt aufgesetzt. So kunstvoll hier Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Traum auch verschränkt werden, so spannend im Grunde das Spiel mit Film und Fotografie und die Frage nach der Aussagekraft und dem Wahrheitsgehalt von Fotos ist, so bleibt das doch auch ein sehr akademisches Unterfangen, das zwar den Kopf des Zuschauers anregen kann, aber kaum sein Herz erreicht.

Stärker gelingt letzteres Ludwig Wüst in "Abschied" – nicht zuletzt dank einer großartigen Claudia Martini in der Hauptrolle. Als Johanna besucht sie ihre Freundin Helene (Martina Spitzer). Auf Johannas 30. Hochzeitstag wollen sie mit Sekt anstoßen, besprechen, was und wie Helene bei der anstehenden Feier fotografieren soll. Es beginnt mit unsicherem Small-Talk, bis Johanna zufällig eine DVD von Claude Sautets "Die Dinge des Lebens" erblickt und schlagartig die Erinnerung an eine über 30 Jahre zurückliegende und aus dem Gedächtnis verdrängte große Liebe wieder hochkommt.

In einer rund 45-minütigen Einstellung erzählt Wüst in Echtzeit von diesem Besuch und der Erzählung Johannas. Keine Bewegung macht die Kamera, bleibt statisch auf Couch, Tisch und Stuhl gerichtet, wenn die beiden Frauen zum Rauchen ans Fenster oder in ein Nebenzimmer gehen. Nur ein fast unmerklicher Zoom rückt Johanna immer näher, macht mit der Verengung gleichzeitig eindringlich klar, wie sehr sie in dieser Vergangenheit gefangen ist, wie ihr ganzes folgendes Leben Fassade war und das verlorene Glück damit nur verdrängt und übertüncht wurde. - Eine schauspielerische Tour de Force ist diese Szene, musste sie doch in einem Stück durchgespielt werden.

Wie sehr Johannas Leben durch diese Erinnerung aus dem Lot gerät, verdeutlichen gekippte Einstellungen, wenn sie nach dieser Erzählung und einer Schwarzblende durch die Straßen von Wien streift, allein in einem Kino sitzt, dessen drei Filme "Elysium" mit dem Gegensatz zwischen einer tristen Welt und dem Versprechen eines Paradieses, "Der dritte Mann" mit dem verschwundenen Geliebten und "The Company You Keep" mit dem Hereinbrechen einer lange zurückliegenden Geschichte durchaus in Bezug zu ihrer Lebenssituation gesetzt werden können.

Nach einem in schwarzweiß gefilmten Barbesuch, torkelt sie am Mittelstreifen auf einer nächtlichen Allee dahin, schläft auf einem Baustellengebiet in einem Betonrohr. Das Äußere korrespondiert hier mit dem Inneren, in den Baustellen der Stadt spiegelt sich die Baustelle ihres Lebens, ihre Verlorenheit und Isolation.

Wie es mit Johanna weitergehen wird, bleibt offen. Nichts ist am Ende dieses formal konsequenten und gerade in seiner Reduktion dichten Films am Ende gelöst. Mit der Erschütterung eines scheinbar glücklichen Lebens, die ein kleines Detail ausgelöst hat, wird man aus dem Kino entlassen und auch aufgefordert, auch im eigenen Leben nach solchen prägenden, aber verdrängten Erlebnissen zu suchen.