Der schöne Schein

Der "schöne Schein" ist ein Leitmotiv des barocken Zeitalters. In dieser Zeit der Repräsentation, des Glanzes, der Üppigkeit und Lebenslust gehörte die Fayence neben dem Silber im Bereich der höfischen und adligen, aber auch der bürgerlichen Tischkultur seit der Mitte des 17. und bis weit in das 18. Jahrhundert hinein zum begehrten Prunkgeschirr für Tafel und Etagere. Zunächst diente die Fayence – eine Irdenware mit einer weißen, deckenden Zinnglasur – als täuschend echter "Ersatz" für das über den Seeweg importierte, technologisch in Europa noch unerreichte, für viele auch unerreichbare, aber hochbegehrte chinesische Porzellan.

Mit der Zeit entwickelte sich aber eine eigenständige, reiche und überaus reizvolle europäische Fayencekultur mit vielfältigen Geschirrformen und allerlei Gerätschaften des täglichen und persönlichen Gebrauchs sowie kleinen Plastiken und Bildwerken zur Dekoration der Innenräume. Erst mit der Gründung der ersten europäischen Porzellanmanufaktur 1710 in Meissen und vor allem mit der Erfindung des Steinguts im England des ausgehenden 18. Jahrhunderts erwuchs der Fayence eine ernstzunehmende Konkurrenz, die ihren Niedergang einläutete.

Die prachtvollen, oft meisterhaft dekorierten und bemalten Kunstwerke zeugen noch heute von einer der kreativsten und produktivsten Epochen der europäischen Kunst-, Kultur- und Sozialgeschichte. Sie dokumentieren Sitten und Gebräuche, gesellschaftliche Verhältnisse sowie repräsentative Ansprüche und spiegeln das Lebensbild des 18. Jahrhunderts in Deutschland in seiner großen Vielfalt und seinem ganzen Reichtum wider. Die Malereien zeigen eine weitgehend ruhige, beschauliche Welt. Unter belebten Himmeln schmiegen sich von Kirchen, Burgen und Bergen überragte Orte in schöne Landschaften. Bauern gehen ihrer Arbeit nach, Reiter und Reisende in Kutschen ziehen übers Land, in wildreichen Wäldern gehen Jäger auf die Pirsch, am Ufer von Flüssen wird geangelt. Chinesen repräsentieren ebenso eine fremde, fantastische Welt wie die mythologischen Szenen der Antike. Vor allem aber sind es Blumen und Blüten in all ihrer verschwenderischen, reizenden Pracht, denen sich die Maler mit Hingabe und großem Können widmen.

Die Sonderausstellung "Der schöne Schein – Deutsche Fayencekunst" erschließt einen seit der Gründung des Museums im Jahre 1888 wissenschaftlich unbearbeiteten, der Öffentlichkeit wie der Fachwelt weitgehend unbekannten, aber bedeutenden Kunstbestand. Zu sehen sind rund 200 der prächtigen, aber zerbrechlichen, für die Ausstellung sorgfältig restaurierten, zum Teil wiedergewonnenen Kostbarkeiten. Ein mit rund 700 Reproduktionen reich bebilderter wissenschaftlicher Katalog stellt alle Exponate auch im Detail ausführlich vor und dokumentiert am Beispiel der Kölner Sammlung den aktuellen Wissensstand über die Geschichte der deutschen Fayence, ihre Manufakturen, ihre Herstellungs- und Dekorationstechniken, Modelleure und Maler, Besteller und Nutzer. Ausstellung und Katalog vervollständigen und bereichern auf diese Weise unser Bild einer vergangenen Epoche großer europäischer Kunst.

"Der schöne Schein – Deutsche Fayencekunst" ist Teil der Festveranstaltungen anlässlich des 125-jährigen Gründungsjubiläums des Museums für Angewandte Kunst Köln. Im Jahre 1888 unter dem Namen "Kunstgewerbemuseum" gegründet, entwickelte es sich von der Vorbildersammlung für alle künstlerischen Handwerke zu einem vielseitigen Kunstmuseum. Es ist heute zugleich Ausstellungs- und Forschungsinstitut für alle Sparten der historischen und modernen Angewandten Künste sowie, darüber hinaus, Forum für die aktuellen künstlerischen Strömungen, Entwicklungen und Kreationen in Architektur, Design, Mode und Fotografie.

Der schöne Schein
Deutsche Fayencekunst
15. Juni bis 29. September 2013