Der Mädchenhering

4. Juli 2011 Kurt Bracharz
Bildteil

Grüner Hering, Hering nach Müllerinart, Matjes, Bismarckhering, Rollmops, Russen, Brathering, Bückling, Kipper, Lachs- oder Salzhering, Heringsfilet in Soße, Heringsalat, Surströmming – kein anderer Fisch wird in so vielen Zubereitungsarten angeboten wie der Atlantische Hering (Clupea harengus harengus), der früher in riesigen Schwärmen auftrat und deshalb stets einer der wichtigsten Speisefisch war.

1838 definierte der Berliner Schriftsteller Adolf Glassbrenner den Begriff "Armut" so: "Arm is eener, wo die Kinder von Montach bis Sonnambd an den Salzhering lecken, den Vata sonntachs frißt." Seither ist zumindest eine Heringsspeise geschmacklich und preislich zur Delikatesse aufgestiegen, der echte "neue Matjes".

Von Ende Mai bis Anfang Juli ist Saison für den "nieuwe maatjesharing", der vor dem Laichen gefangen (deshalb "Mädchenhering", altholländisch hieß er "maeghdekens haerinck"), zur Vernichtung von Parasiten schockgefrostet und nach dem Ausnehmen, bei dem man einen kleinen Teil der Innereien wegen seiner Enzyme ausspart, in Eichenfässern mit Salzlake eingelegt wird, um einige Tage später, nach seiner enzymatischen Reifung, als Delikatesse verzehrt zu werden – traditionell, indem man das Doppelfilet am Schwanz fasst, den Kopf in den Nacken legt und den Fisch in den Mund gleiten lässt.

Es werden aber schon seit langem das ganze Jahr über Heringsfilets "nach Matjesart" angeboten, bei denen die Reifung mittels Enzympulver erfolgte und die in Öl eingelegt wurden. Auf solchen Gläsern steht dann schon auch "Echtes Matjesfilet ... hergestellt in Österreich" oder "Edle Matjesfilets nordische Art". Diese Konserven schmecken je nach Ausgangsmaterial und Sorgfalt bei ihrer Herstellung durchaus matjesartig, sind aber hinsichtlich Textur und Finesse mit echten "neuen Matjes" nicht zu vergleichen. Letztere haben ein geradezu cremig weiches Fleisch mit einem delikaten, leicht buttrigen Geschmack nach dem Meer. Neuer Matjes ist reich an Omega-3-Fettsäuren und Vitaminen, braucht nicht gewässert zu werden und kann auf alle Beilagen außer etwas Brot und Zwiebelringe verzichten.

Die klassische Technik der Matjes-Herstellung wurde in Holland erfunden, aber auch in Deutschland gibt es Matjesfischerei und große Volksfeste (wie z. B. in Emden mit 150.000 Besuchern) rund um den neuen Matjes. Im Restaurant begegnet einem der Fisch das ganze Jahr über als "Matjes nach Hausfrauenart", wofür er eine halbe Stunde gewässert oder in Milch eingelegt und dann, in mundgerechte Stücke geschnitten, einige Stunden in einer Soße aus süßer und saurer Sahne, Zitronensaft, einer Preise Zucker, Apfelscheiben und Ringen von roten Zwiebeln ziehen gelassen wird, um schließlich mit frischen Kräutern wie Dill, Schnittlauch und Petersilie garniert und mit dunklem Roggenbrot oder zu Pellkartoffeln serviert zu werden.

Ein avancierteres Rezept, das aber immer noch "Matjes nach Hausfrauenart" heißt, in "Das große Buch vom Fisch", München 2005, formt mittels Metallringen Matjesfilets zu kleinen "Schüsseln", in welche gewürzte Apfel-, Gurken-, Schalotten- und Radieschenwürfelchen nacheinander eingeschichtet werden; dann setzt man einen Klacks Crème fraîche mit Forellenkaviar auf jeden gefüllten Matjesring.