Der Grieg der Hügel-Trolle

14. September 2011 Rosemarie Schmitt
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1876 war kein gutes Jahr, sowohl nicht für ihn als Sohn, als auch nicht für ihn als Ehemann. Innerhalb weniger Wochen starben im Herbst seine Mutter Gesine (geborene Hagerup – dieser Name wird Ihnen gleich noch einmal begegnen) und auch sein Vater Alexander. Außerdem wurde über ein mögliches Verhältnis – Sie wissen schon – gemunkelt, das seine Frau Nina mit ihrem Schwager John zu haben schien. Nina war, bevor sie Edvards Ehefrau wurde, seine Cousine, eine geborene Hagerup.

Seine Cousine blieb sie nach wie vor, aber für eine Weile nicht mehr in erster Linie, erst später wieder. Munkelte man damals über Ehebruch, so munkelt man und fragt sich heute, daß sich Griegs schöpferisches Potential ohne Nina hätte besser entfalten können. Vielleicht würden seine Werke etwas mehr Lebensfreude versprühen. Andererseits wären sie nicht so traurig schön und so schön traurig ("mollig"). Doch was weiß man schon? Grieg soll bereits als Kind einen Hang zu traurigen Ereignissen verspürt haben, so mochte er beispielsweise Beerdigungen ganz gerne.

Und so verlobte Edvard Grieg sich also mit Nina Hagerup, was übrigens recht ungewöhnlich von statten ging. Nina beschrieb dies einst folgendermaßen: "Wir spielten Schumanns B-Dur-Symphonie vierhändig – und waren verlobt." Ninas Mutter hielt nicht viel von dieser Verbindung: "Er ist nichts und er hat nichts und macht Musik, die niemand hören will!" Nun ja, die Gute hatte wohl keine Ahnung...

Auf dem Troll-Hügel ließ er sich eine Villa errichten. Für sich und seine Frau Nina. Als er Nina heiratete war er 23. Im Jahre 1885, 20 Jahre später, bezogen die beiden ihr Eigenheim im norwegischen Troldhaugen – lesen Sie das "g" einfach nicht mit, es wird ja auch nicht gesprochen! Gerne wäre das Ehepaar mit ihren Kindern dort eingezogen, doch ihr einziges Kind, die Tochter Alexandra, die zwei Jahre nachdem sie verheiratet waren geboren wurde, lebte nur 13 Monate.

In der Nähe der Villa, mit Blick auf den See, ließ Grieg sich seine Kompositionshütte bauen. Mit diesem Blick, und der von ihm so sehr geliebten Ruhe – er haßte es, beim Komponieren belauscht zu werden - schuf er hier seine größten Werke. Apropos groß, noch heute findet man in dieser Hütte einen sechs Zentimeter hohen Stapel Papier, den sich der Komponist unterlegte, denn der große Grieg maß auch als Erwachsener nicht mehr als 1,52 Meter. Doch ist die in Zentimetern meßbare Größe nicht das Maß aller Dinge! Wäre er, wie zunächst geplant, Pfarrer statt Komponist geworden, hätte der Stapel Papier möglicherweise noch einige Zentimeter höher sein müssen, um des Sonntags auf der Kanzel von seinen Schäfchen gesehen und gehört zu werden.

Wissen Sie, daß Grieg sein letztes Konzert im April 1907 in Kiel gegeben hat? Edvard Grieg, der nur 64 Jahre alt wurde, starb am 4. September des gleichen Jahres. Noch im Sterbebett richtete er sich auf, um sich vor seinem imaginären Publikum zu verbeugen. Dies berichtete die Krankenschwester der Bergener Klinik, die während seiner letzten Stunden an seinem Bett gewacht hatte. Er ging ganz still. "Als die anderen eintrafen, war sich keiner ganz sicher, ob der Tod schon eingetreten sei. So unmerklich war der Übergang." Die Urne wurde im April 1908 in einem Felsen in der Nähe von Troldhaugen beigesetzt.

Weshalb ich Ihnen dies alles erzähle? Weil das edle Label audite (Vertrieb: EDEL) erst kürzlich eine der wunderbarsten CD-Einspielungen Griegs veröffentlichte: Edvard Grieg, Complete Symphonic Works Vol. I und Vol. II. Unter der Leitung von Eivind Aadland spielte das WDR Sinfonieorchester Köln Griegs komplettes symphonisches Schaffen ein. Ist Ihnen die Herkunft des Ausdruckes "Windei" bekannt? Man dachte, es handele sich hierbei um Eier, die durch den Wind oder den Atem Gottes befruchtet wurden.

Betrachtet man es also von daher, so könnte Eivind ein Windei sein! Eivind Aadland ist für mich die beste Wahl für dieses Projekt, denn er hat eine wie von Gott gegebene Art, Griegs Musik ehrlichstes Leben einzuhauchen. Der 1956 Norgweger Aadland, ist quasi mit Grieg groß geworden. Oft schon habe ich die Peer-Gynt-Suiten gehört, niemals jedoch auf diese schnörkellose, liebenswert spröde, ursprüngliche Weise, darüber hinaus in einer herausragenden Klangqualität! Das muß es sein, was Edvard Grieg uns mit seiner Musik sagen wollte!

Und das war, was ich Ihnen für heute sagen wollte.
Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt