Der Erfinder der gefüllten Erdbeere

2. Dezember 2013 Kurt Bracharz
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"Als ich nun im Hamburg zum ersten Mal das Wunder des Fernsehens erlebte, sahen wir einen Berliner Giftforscher mit einer schrecklichen Eidechse aus Mexiko hantieren. In Großaufnahme. Man sah nur die Hände des Forschers, der das Tier kameragerecht placierte und ihm aus den triefenden Kiefern das furchtbare, glitzernde Naß entnahm. Dann legte er das etwa 30 cm lange Reptil behutsam wieder in den Glaskasten zurück. Es war aufregend im Höchstmaße. Nach Schluß der Sendung zerrte ich meine Frau in die nächste Kneipe. "Stell dir vor", flüsterte ich "dieses Biest wäre ein Omelett gewesen." – Sie begriff. – Die Idee der Fernsehküche war geboren."

Der deutsche Schauspieler Clemens Wilmenrod (1906 – 1967) war ab 1953 der erste deutsche Fernsehkoch. Im Juni 1959 schrieb DER SPIEGEL zur 130. Sendung des vormaligen Charakterkomikers und ambitionierten Amateurkochs, der sein Publikum stets als "ihr lieben, goldigen Menschen" oder auch als "verehrte Feinschmeckergemeinde" ansprach : "Der Nimrod der Fernsehküche nennt sich Clemens Wilmenrod; laut Paß trägt er jedoch den Namen eines gefiederten Haustieres, das der televisionäre Koch- und Bratexperte in gerupftem Zustand gern den Infrarotstrahlen seines Grillapparats Heinzelkoch aussetzt. Er heißt nämlich schlicht Carl Clemens Hahn und stammt aus dem Westerwalddorf Wilmenrod. Da ihm der Geflügel-Name zu prosaisch erschien, benutzt er den klangvolleren Ortsnamen – allerdings nur für sein künstlerisches Spezialgewerbe."

Laut Wikipedia gilt Wilmenrod als Erfinder des Toast Hawaii, des Arabischen Reiterfleisches und der Gefüllten Erdbeere, außerdem soll er den Rumtopf in Süd- und Westdeutschland populär und die Pute zum typischen Weihnachtsbraten gemacht haben. Auch wenn Arabisches Reiterfleisch und Gefüllte Erdbeere ebenso wie Wilmenrods bevorzugtes Handwerkzeug, der Schnellbräter "Heinzelkoch", heute mehr nach einem Loriot-Sketch als nach TV-Küche klingen, wurde der kochende Schauspieler doch zumindest vom Fernsehpublikum jener Jahre ernst genug genommen, um es bis zur Absetzung im Mai 1964 auf 185 Sendungen zu bringen. 2008 verfilmte der NDR Wilmenrods Leben unter dem Titel "Es liegt mir auf der Zunge" mit Jan Josef Liefers in der Hauptrolle. Die "Gefüllte Erdbeere" hatte es schon vorher auf YouTube geschafft.

In dem 1954 bei Hoffmann und Campe erschienenen Buch "Es liegt mir auf der Zunge", dessen Vorwort prompt mit "Ihr lieben, goldigen Menschen!" überschrieben ist, beginnt der Abschnitt über "Gefüllte Erdbeeren" so: "Ich möchte mir das Messer an die Brust setzen und Sie herausfordern, mir zu sagen, ob Sie jemals von einer gefüllten Erdbeere gehört oder sie gar gegessen haben. Wenn Sie ja sagen, dürfte ich es an sich nicht überleben, denn ich behaupte, daß die gefüllte Erdbeere eine Erfindung von mir ist." Wilmenrod erzählt, er habe in einem Straßencafé in Rom von einer Bäuerin Erdbeeren gekauft, aus der ersten den Stiel herausgedreht und sich gedacht, dass man den dadurch entstandenen Hohlraum doch irgendwie füllen könnte. Aber womit?

Die Lösung dieses kulinarischen Rätsels sei ihm erst viel später eingefallen: "Dann eines Morgens im Bett, wo einem häufig die besten Gedanken kommen, da wußte ich es: eine geschälte, süße Mandel muß in die Erdbeere hineingedrückt werden. Ich versuchte es sofort in meiner Küche und habe es seit der Zeit für mich und nunmehr auch für Sie beibehalten." Wilmenrod empfiehlt dann, sich beim Konditor aus Sahnebaiser-Masse Torteletts backen zu lassen, sie mit vier oder fünf gefüllten Erdbeeren zu belegen und diese mit Schlagsahne zu bedecken. "Die Überraschung für Ihren Gast, der plötzlich auf eine Erdbeere mit einem Kern beißt, ist verblüffend."

Übrigens starb Wilmenrod durch Suizid, in einem Krankenhaus in München, das er vermutlich wegen Beschwerden aufgesucht hatte, die als Magenkrebs diagnostiziert wurden.