In den Gängen

In den Gängen eines Großmarkts zwischen Getränkelager, Süßwaren und Tiefkühlkost spielt Thomas Stubers zweiter Kinofilm. Präzise und wunderbar lakonisch, aber warmherzig im Blick, realistisch den Alltag einfangend, gleichzeitig märchenhaft und tragikomisch im Ton entwickelt sich ein federleichtes bittersüßes Kleinod.

Deprimierend wirkt die Totale auf den beinahe leeren, nur von ein paar windschiefen Straßenlampen erleuchteten nächtlichen Parkplatz des ostdeutschen Großmarkts. Der "Donauwalzer" als musikalische Untermalung verleiht der realistischen Einstellung und den folgenden Momentaufnahmen vom Alltag in den Gängen des Großmarkts aber eine märchenhafte Note, macht aus den Bewegungen der Gabelstapler ein leichtfüßiges Ballett.

Christian (Franz Rogowski) tritt hier seine Probezeit an, mit deren Ende und Fixanstellung der Film enden wird. Blauer Kittel, Namensschild, drei Kugelschreiber und ein Cutter reicht ihm der Vorgesetzte, Hemdärmel möge er möglichst weit vorziehen, damit man die Tätowierungen nicht sieht. Und vor dem Gang von der Umkleide in den Markt prüft man sich immer im Spiegel: "So sieht dich der Kunde" steht daneben.

Kaum einmal verlässt Thomas Stuber in seiner Verfilmung einer Kurzgeschichte von Clemens Meyer zunächst den Großmarkt, taucht ein in diese nur von Neonlicht, das den Bildern einen ganz eigenen Schimmer verleiht, erhellte Welt. Akribisch schildert er die kleinen Arbeiten vom Einräumen der Regale über die Entsorgung von abgelaufenen Lebensmitteln – eine Szene, die auch drastisch die Verschwendung bewusst macht – bis zum Regal mit 21 Nudelsorten und zur Arbeit mit dem Gabelstapler.

Diese ist nicht zu unterschätzen, wie man spätestens seit dem legendären Splatter-Kurzfilm "Gabelstapler Klaus" weiß, an den hier nicht nur Erinnerungen aufkommen, sondern den Stuber auch explizit zitiert. Geschult werden muss man im Umgang mit diesen Fahrzeugen vom kleinen handbetriebenen Palettenkarren über die Ameise bis zum großen Wagen, muss einen Kurs besuchen und eine Prüfung ablegen. – Trockenen Witz entwickelt "In den Gängen" in der Schilderung dieser Lern- und Arbeitsprozesse.

Der erfahrene Bruno (Peter Kurth), der in DDR-Zeiten noch LKW-Fahrer war, nimmt Christian, der wohl auch aufgrund eines Sprachfehlers kaum spricht, unter die Fittiche. Mit ihm steht er am Kaffeeautomaten, qualmt in der 15-Minuten-Pause im Klo Zigaretten, schaut ihm beim Schach mit einem Kollegen zu.

So wird der Zuschauer mit Christian, der teilweise durch Voice-over den Zuschauer in sein Inneres blicken lässt, auch mit den anderen Angestellten vertraut, vor allem natürlich mit Marion (Sandra Hüller), die in der Süßwaren-Abteilung arbeitet.

Über Small-Talk und Kaffee und natürlich die Weihnachtsfeier kommt Christian ihr langsam näher, muss dann aber erfahren, dass sie verheiratet ist, auch wenn dieser Mann nicht gerade nett zu ihr sein soll.

Vom Großmarkt weitet Stuber, der den Film entsprechend den drei Protagonisten in die Kapitel "Christian", "Marion" und "Bruno" eingeteilt hat, langsam den Blick auf die Wohnsituationen dieser Protagonisten. Das Zuhause ist hier kein Bereich der Geborgenheit, sondern eher nur ein desolater Ort, an dem man schläft, als wahre Heimat erscheint der Großmarkt, in dem man die Wertschätzung und Solidarität der Kollegen erfährt.

Auch ein geschützter Bereich gegenüber der Welt und den Bedrohungen, die für Christian seine rauen Ex-Freunde darstellen, scheint dies zu sein. Weder einen großen Chef, von dem aber mehrmals die Rede ist, noch Kunden sieht man wirklich, der Fokus liegt ganz auf diesen Angestellten. Doch im genauen und mitfühlenden Blick Stubers, in den bestechend-genauen Dialogen und natürlich im Spiel seiner bis in die Nebenrollen perfekt besetzten Figuren erzählt dieser Film, der sich auf diese kleine Welt und das ganz Alltägliche beschränkt und aufs große Drama verzichtet, wunderbar zart und feinfühlig, liebevoll und von leiser Komik durchzogen vom menschlichen Leben an sich.

Da spürt man die Einsamkeit Christians, wenn er nach Dienstschluss im Dunkeln allein an der nur von einer Straßenlaterne erhellten Bushaltestelle steht, ebenso wie seine Sehnsucht nach Nähe, wenn er das Gespräch mit Marion sucht, oder den folgenden Liebeskummer. Ganz im Hier und Jetzt spielt der Film, nichts erfährt man über sonstige soziale Kontakte der Charaktere oder Hobbys.

Erst spät bietet Stuber Einblick in die dunkle Vorgeschichte Christians und auch bei Bruno wird schließlich mit einer tragischen Wende seine Verlorenheit spürbar, der doch viel lieber auf der Landstraße mit dem LKW unterwegs wäre als mit dem Gabelstapler im Großmarkt.

Durchaus als Metapher kann man so den Titel nehmen, als Chiffre für den Menschen, der eingesperrt ist in seinem Leben und seinen festgefahrenen Bahnen, sich aber doch nach Befreiung sehnt, andererseits sorgen diese festen Raster auch dafür, dass Christian wieder Tritt fassen und lernen kann ein geordnetes Leben zu führen.

Nicht auf ein großes Happy-End steuert "In den Gängen" zu, der auch durch seine brillanten Soundtrack, der zwischen klassischer Musik und erdigem Blues pendelt, aber auch Meeresrauschen, das man in der Stille bei den Bewegungen der Gabelstapler hören soll, einsetzt. Als größte körperlich Nähe erlaubt er Christian seiner Marion im Lager für Gefrierkühlkost, genannt Sibirien, in das man nur mit Pelzkappe und dickem Mantel geht, zu zeigen, wie sich die Inuit begrüßen.

Nicht zuletzt diese Zurückhaltung nicht nur der Figuren, sondern mehr noch der Regie und ihr behutsamer, immer wertschätzender Blick macht dieser Film der kleinen Leute und kleinen, aber in ihrer Wahrhaftigkeit großen Geschichten, der mit spielerischer Leichtigkeit sozialrealistisch genauen Blick mit märchenhaftem Ton verbindet, zu einem Kleinod, das sich nachdrücklich ins Herzen des Zuschauers schleicht.

Wird vom FKC Dornbirn am Mitwoch, den 18.7. um 18 Uhr und am Donnerstag, den 19.7. um 19.30 Uhr im Cinema Dornbirn gezeigt

Trailer zu "In den Gängen"