Das Wandern ist des Müllers Lust

Der Auftakt von Schuberts Liederzyklus "Die schöne Müllerin" singt sich schon beim Lesen. In welch unbekannt-reiche Erlebniswelten der Bassbariton Florian Boesch mit der Musicbanda Franui, verdichtet durch die Inszenierung des Puppenspielers Nikolaus Habjan im Bregenzer Festspielhaus zu entführen vermochten, das ist großes Musiktheater.

Vor genau 200 Jahren vertonte Franz Schubert 20 der 25 Gedichte von Wilhelm Müller über den unglücklich verliebten jungen Müllersknecht, der sich in das Idealbild der schönen Müllerin psychotisch hineinsteigert. Ein "Bächlein, liebes Bächlein" ist fließender Begleiter und Adressat von Fragen – "sag´, Bächlein, liebt sie mich?" – und Reflexionen. Florian Boesch folgt nicht der Mainstream-Interpretation, dass das Ein-Personen-Drama im Suizid endet, sondern der tiefgründigen, schlüssigeren, die im letzten "Des Baches Wiegenlied" durchaus Trost und Zuversicht für das Kommende sieht, und dass in "Trockene Blumen", die der Bursche wehleidig auf sein Grab fantasiert, er nicht an Suizid denkt, sondern was sein Tod bei der schönen Müllerin auslösen würde.

Nikolaus Habjan legt trotzdem die hohe Kiste, die vorher als Haus oder als Sichtbarmachung der Distanz und Unerreichbarkeit der Geliebten diente, bei diesem 18. Lied sargähnlich in die Horizontale, und den Torso des Müllerburschs drauf, womit wir bei der Inszenierung sind: Die abstrakt gestaltete Figur wird nicht nur vom Puppenspieler geführt, der leiht ihr vorwiegend beide Hände und mitunter auch Beine, sondern der großartige Sänger Florian Bösch ist ständig gefordert "die Intensität des Ausdrucks aus meiner Körperlichkeit herauszunehmen und an die Puppe abzugeben", doch trotzdem findet er: "Wie man die Psyche, die Realität, die Zustände, die Wünsche und Sehnsüchte eines Menschen mit einer Puppe darstellen kann, ist fantastisch." Es entsteht dadurch eine Metaebene, man hätte jedoch durchaus noch mehr Florian Boesch und etwas weniger Puppe vertragen. Der Bassbariton (geboren 1971 in Saarbrücken) gehört zu den besten Opern- und Konzertsängern seiner Generation und begeistert mit außergewöhnlicher stimmlicher Virtuosität und Ausdruckskraft.

Dazu noch die Musicbanda Franui, die sich selbst treffend als "Umspannwerk zwischen Klassik, Volksmusik, Jazz und zeitgenössischer Kammermusik" bezeichnet. Franui ist übrigens der Name einer Alm im Osttiroler Dorf Innervillgraten, wo die meisten Musiker der Band aufgewachsen sind. "Wir spielen jetzt genau 30 Jahre zusammen – in unveränderter Besetzung – und mindestens die Hälfte der Zeit haben wir damit verbracht, das sogenannte romantische Lied weiterzuschreiben, also das herkömmliche Setting zu vergessen, und mit unserem merkwürdigen Instrumentarium diese Musik neu zu erfinden. An manchen Stellen zelebrieren wir das vorliegende Material oder reduzieren es, an manchen Stellen reichern wir es an, kehren das Unterste zuoberst und umgekehrt."

Und völlig neue Hörerlebnisse sind gewiss, wenn der Liederzyklus nicht mit Klavier, sondern mit Tuba und weiteren Blech- sowie Holzbläsern, Volksmusik-Saiteninstrumenten, Akkordeon und Streichern begleitet wird. Dann erscheint auch nach dem vielsagenden "... Sie sprach: Es kommt ein Regen / Ade, ich geh´ nach Haus" Schuberts "Kuppelwieser-Walzer" als Tanzmusik fragmentiert, wie ein Traumbild. Oder die Interpretation von "Trockene Blumen": "Wenn man einen Trauermarsch viermal so schnell spielt, wird er zur Polka". Andreas Schett und Markus Kraler, die Bandgründer, bringen es auf den Punkt: "Manchmal klingt es mehr nach Popsong, Volksweise, Wozzeck oder Dreigroschenoper als nach Liederabend. Oder eben nach Franui."

Aufbrausender Applaus und Standing Ovation!

Die schöne Müllerin
Franz Schubert | Musicbanda Franui
Musiktheaterabend (2023) nach dem gleichnamigen Liederzyklus
von Wilhelm Müller und Franz Schubert (1823)
Uraufführung an der Staatsoper Unter den Linden, Berlin

Florian Boesch
Musicbanda Franui
Nikolaus Habjan | Inszenierung, Puppen, Kunstpfeifen
Markus Kraler, Andreas Schett | Musikalische Bearbeitung, Komposition
Andreas Schett | Musikalische Leitung
Paul Grilj | Licht
Stefan Schett | Tontechnik
Christoph Lang | Dramaturgie