Das Ferne und das Nahe

27. Mai 2012
Bildteil

Katastrophen- und Kriegsberichte füllen weite Teile der Massenmedien. Die Nachrichten scheinen das Unterhaltungsprogramm mit Krimis, Horror- und Kriegsfilmen zu ergänzen. Die Unterscheidbarkeiten verringern sich, alles scheint sich anzugleichen, Ähnlichkeiten prägen sich ein. Die Wahrnehmungsweisen führen zu Staunen, Abscheu vielleicht und Empörung, aber auch zu Kitzel und Unterhaltung. Man sitzt, sieht - und macht weiter. Divertimento. Unterhaltung, sogar Vergnügen, jedenfalls "Zerstreuung". Unterhaltsame Erholung und Ablenkung.

Lukrez (ca. 97 - 55 v. Chr.) schrieb in seinem "De rerum natura. II":

"Suave mari magno turbantibus aequora ventis
e terra magnum alterius spectare laborem,
non quia vexari quemquam est iucunda voluptas,
sed quibus ipse malis careas quia cernere suave est;"

"Wonnevoll ist"s bei wogender See, wenn der Sturm die Gewässer
Aufwühlt, ruhig vom Lande zu sehn, wie ein andrer sich abmüht,
Nicht als ob es uns freute, wenn jemand Leiden erduldet,
Sondern aus Wonnegefühl, daß man selber vom Leiden befreit ist."

Es scheint, Millionen von Zuschauern ergötzen sich im vermeintlichen Informieren. Finden uneingestanden Trost, selbst noch nicht drangekommen zu sein. Das Leid und Unglück anderer macht die eigene Misere erträglicher, denn erst der Vergleich ermöglicht die Wertschätzung. Kriege "brechen aus" wie Naturkatastrophen, und die Bilder davon sind "schön" wie jene von Erdbeben, , Tsunamis, Hochwassern und anderen Naturgewalten. Der falsche, instrumentalisierte Blick auf Naturgewalten enthebt vom Nachdenken. Kein Krieg bricht einfach aus, jeder ist "gemacht". Viele Dürrekatastrophen könnten bei anderer Politik vermieden werden. Der Glaube an die Natürlichkeit behindert ein Verstehen, hilft adäquates Handeln zu verhindern. Ist Teil einer Inszenierung, der man als Zuschauer, als Entfernter von außen "beiwohnt".

Es liegt nicht am Informationsmangel. Wir haben zuviel Informationen, die, bedingt durch die trainierten Wahrnehmungsweisen, eingebettet in ein Meer von ähnlichen Bildern keine Hintergründe zeigen, am Ähnlichen kleben. Die eben unterhalten. Und damit überdecken und verdecken. In der Fülle lässt sich Einzelnes leicht verstecken.

In der Emigration in den USA schrieb Theodor W. Adorno seine "Minima Moralia". Dort notierte er den bedenkenswerten Gedanken:

"Die vollständige Verdeckung des Krieges durch Information, Propaganda, Kommentar, die Filmoperateure in den ersten Tanks und der Heldentod von Kriegsberichterstattern, die Maische aus manipuliert-aufgeklärter öffentlicher Meinung und bewußtlosem Handeln, all das ist ein anderer Ausdruck für die verdorrte Erfahrung, das Vakuum zwischen den Menschen und ihrem Verhängnis, in dem das Verhängnis recht eigentlich besteht."

Wir sind alle bestens informiert. Wir wissen Bescheid. Was folgt daraus? Müsste uns nicht erstaunen, wie gleich die Verhaltensweisen und Reaktionen von heute im Vergleich zu den Frühzeiten sind. Die Entwicklung des Bewusstseins hinkt hinter der technischen eklatant nach. Das hat Auswirkungen. Man sieht es im Social Net, im Twitter-Reduktionismus, im Fernsehen, in vielen Videos in Youtube und anderen Kanälen.

Die Bilderfülle erscheint nah, entfernt aber auf fatale Weise. Das liegt nicht per se an den Bildern. Sondern unserem Umgang mit ihnen. Das stereotype Kurzsprech als adäquater Ausdruck eines gängigen Kurzdenk bettet das ein zu einem allgemeinen Geraune, das einem unüberprüfbaren Gerücht gleicht. All dies deckt nicht auf, sondern zu. Ganz nah und ganz fern.