Crossing Europe 2014: Große Distanzen und emotionale Nähe

28. April 2014
Bildteil

Statt dramatisch aufgeputschte Kinogeschichten zu erzählen, setzen mehrere Spielfilme im Wettbewerb des Linzer Filmfestivals Crossing Europe (25. - 30. April) auf einen dokumentarischen Gestus: Alberto Fasulo schildert in "TIR" akribisch den Alltag eines Fernfahrers, Carlos Marques-Marcet zeichnet in "Long Distance" die Entwicklung einer Fernbeziehung nach und Jakob Lass bettet in "Love Steaks" eine wilde Liebesgeschichte in eine dokumentarisch eingefangene Arbeitswelt ein.

Echte Kinogeschichten waren im Wettbewerb des Linzer Filmfestivals Crossing Europe an den ersten Festivaltagen Mangelware. Vielmehr zeichnet die Filme ein dokumentarischer Blick auf den Alltag aus. Auf alles Spektakuläre und dramatische Ereignisse wird verzichtet, dafür ist die vielfach mit der Hand geführte Kamera nah an den Menschen.

23 Minuten lang ist die erste Einstellung von Carlos Marques-Marcets Langfilmdebüt "Long Distance" und ist doch keine Sekunde zu lang, sondern baut gerade durch ihre Länge sukzessive und durchgängig Spannung auf.

Nah ist die Kamera an Sergi und Alex beim Sex, sieht ihnen beim Frühstück bei der Diskussion über ein Baby zu, hält fest, wenn Alex eine E-Mail erhält, in der ihr mitgeteilt wird, dass sie ein einjähriges Stipendium im 10.000 Kilometer von Barcelona entfernten Los Angeles erhält. Freut sich Sergi zuerst für seine Freundin, kommen bald Zweifel auf und sie erklärt sich schon dazu bereit, auf diesen Auslandsaufenthalt zu verzichten, bis er sie doch dazu überredet, sich diese Chance nicht entgehen zu lassen.

Mit einem harten Schnitt bricht diese in Echtzeit gehaltene Szene schließlich ab und mit Inserts zu den Tagen der Trennung wird fragmentarisch die Entwicklung der Fernbeziehung geschildert.

Ganz auf die beiden Protagonisten konzentriert sich Marques-Marcet. Praktisch nie verlässt der Film ihre Wohnungen. An die Stelle der Nähe der ersten Einstellung tritt nun die Kommunikation mit Skype, durch die Alex Sergi an ihrem Leben teilhaben lassen will, ihm ihre Wohnung mit der Webcam zeigt, mit Google-Maps und Fotos einen Eindruck von den Orten vermittelt, die sie besucht.

Doch die körperliche Nähe können die neuen Medien nicht ersetzen und so dokumentiert der Film die zunehmende Zersetzung der Beziehung, den sich langsam aufstauenden Frust und die Wut von Sergi…

Wie "Long Distance" durch die Reduktion auf das Paar und die Entwicklung der Beziehung seine Dichte gewinnt, so besticht auch "TIR" von Alberto Fasulo durch seine konsequente Inszenierung. Der Titel bezieht sich auf die LKW-Aufschrift, die für "Transports internationaux routiers" steht. Mit dokumentarischem Gestus folgt Fasulo dem Kroaten Branko, der eigentlich Lehrer ist, aber in seiner Heimat keinen Job findet und zudem als Fernfahrer für eine italienische Spedition das Vierfache verdient, auf seinen Fahrten durch Europa.

Der Preis dafür ist freilich zunehmende Vereinsamung und ein entbehrungsreiches Leben. Kontakt zu seiner Frau hat er nur über das Handy, waschen muss er sich neben dem LKW, schlafen hinter der Fahrerkabine und auf Aufforderung des Chefs muss auch mal der Fahrtenschreiber manipuliert werden.

In langen Einstellungen fängt Fasulo den Alltag Brankos und seines Beifahrers ein, stilisiert die Fernfahrer nicht wie Sam Peckinpah einst in "Convoy" zu Helden der Landstraße und den letzten freien Männern hoch, sondern setzt sie vielmehr in Bezug zu den eingepferchten Schweinen, die Branko bei einer Fahrt transportiert.

Nicht Weite, sondern Enge kennzeichnet diesen Film, der auch nicht großartig europäische Landschaften vorführt, sondern dem Zuschauer vielmehr mit den monotonen alltäglichen Verrichtungen Einiges zumutet, gerade in diesem Unspektakulären und Repetitiven aber auch ein eindringliches Bild dieses Berufs vermittelt.

Auf ein ungewöhnliches, im Kino kaum präsentes Arbeitsfeld blickt auch Jakob Lass. In "Love Steaks" erzählt der 33jährige Deutsche von der Beziehung zwischen einem jungen schüchternen Masseur und einer wilden, zumindest am Rande einer Alkoholsucht stehenden Küchengehilfin, die beide in einem Wellness-Hotel an der Ostseeküste arbeiten.

Die Story vom gegensätzlichen Paar ist fiktiv, doch daneben fängt Lass mit genauem und dokumentarischem Blick in dem in einem realen Kurhaus und mit den echten Angestellten gedrehten Film auch präzise die Arbeitsverhältnisse und dort herrschende Hierarchien ein.

Statt stringent eine Handlung zu entwickeln, setzt Lass, der sich beim Drehen an das von ihm selbst verfasste und an die dänische Bewegung "Dogma 95" angelehnte "Fogma-Manifest" hielt, auf eine eher lockere Abfolge von Szenen, in denen er seinen Schauspielern viel Raum für Improvisation ließ.

Diese offene Arbeitsweise, zu der auch ein schneller Schnitt, mobile Handkamera und Verzicht auf künstliches Licht gehören, verleiht dieser Tragikomödie, die ganz ohne öffentliche Förderungsmittel entstand, im deutschen Film selten zu findende Frische, Witz und Natürlichkeit.