Crossing Europe 2011: Väter, Söhne und die ganze Familie

16. April 2011
Bildteil

Formal eigenwillig, mit einer ausgeprägten Handschrift präsentieren sich die Wettbewerbsfilme beim 8. Linzer Filmfestival "Crossing Europe". Kühl blickt die Britin Joanna Hogg in "Archipelago" auf eine scheinbar heile Familie, bewegend erzählt der Slowene Vlado Safar in "Oca – Dad" von einer Vater-Sohn-Beziehung, während Kornel Mundruczo bei "Tender Son – The Frankenstein Project" am gleichen Thema scheitert.

Die Britin Joanna Hogg war schon vor drei Jahren mit ihrem Debüt "Unrelated" im Wettbewerb von "Crossing Europe". Stilistisch und auch inhaltlich knüpft Hogg mit "Archipelago" an diesen Erstling an. Hogg seziert in langen statischen Einstellungen die Beziehungen zwischen einer Mutter und ihren beiden erwachsenen Kindern: Bevor der Sohn zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit in Afrika aufbricht, verbringen sie noch einige Tage in einem Ferienhaus auf den Scilly-Inseln. Die Gegend um das Haus ist der einzige Schauplatz, die drei Familienmitglieder sowie die junge Köchin Rose und ein Maler, bei dem speziell die Mutter Kurse nimmt sind weitgehend die einzigen Figuren.

In dieser Beschränkung gewinnt "Archipelago" Konzentriertheit und Dichte, öffnet den Blick auf Details. Nichts Dramatisches passiert im Grunde, doch werden Risse in den familiären Beziehungen, die Unfähigkeit zur Kommunikation und nach außen hin verdeckte psychische Probleme, aber auch Klassengegensätze zwischen Familie und Köchin sichtbar.

Hogg inszeniert kühl, bleibt distanzierte Beobachterin und verzichtet auch auf Musik. Der Stil erzeugt eine Atmosphäre, die mit der emotionalen Kälte der Figuren korrespondiert, und auch den Kontrast von nüchtern-sachlichem Ferienhaus und wild wuchernder Natur kann man auf die Figuren übertragen, bei denen der zur Schau gestellten intakten Oberfläche darunter brodelnde Gefühle, Enttäuschungen und Neurosen gegenüberstehen. So muss man diesen Film in seiner Stilsicherheit bewundern, wirklich mitreißen kann "Archipelago" aber aufgrund seiner doch schon vielfach behandelten Thematik, die hier kaum weiter getrieben wird, kaum.

Noch reduzierter ist Vlado Skafars "Oca – Dad". Der Slowene konzentriert sich ganz auf einen von seiner Frau geschiedenen Mann und seinen etwa zehnjährigen Sohn, die einen Sonntag gemeinsam verbringen. Gespannt ist die Beziehung noch beim Fischen an einem Teich, doch langsam lockert sich diese beim ersten Fang und bald erzählt der Sohn von seinen Berufsträumen, der Vater von der ersten Begegnung mit der Frau oder man imaginiert gemeinsam ein Fußballspiel.

Vor einer großartig eingefangenen Natur entwickelt "Oca", der von zwei großartigen Darstellern getragen wird, mit langen Überblendungen einen wunderbar fließenden Rhythmus. Wie in "Archipelago" passiert in diesem ebenso einfachen wie berückend schönen, manchmal auch die Grenze zum Kitsch streifenden Film im Grunde nichts, doch Skafar gelingt es eindringlich mit dieser alltäglich-unspektakulären, aber von großer Empathie getragenen Schilderung eindringlich den Traum von einem glücklichen (Familien)leben zu beschwören. Ganz privat – und damit auch universell – bleibt das bis kurz vor Ende, um dann plötzlich überraschend ins Dokumentarische zu wechseln. Das Private wird ins Gesellschaftliche eingebettet, wenn als eine Ursache für das Zerbrechen von Familien die Arbeitslosigkeit und damit folgende finanzielle Probleme aufgezeigt werden.

Im Gegensatz zu Skafars berührendem kleinen Film muss man Kornel Mundruczos "Tender Son – The Frankenstein Project" als missglückt ansehen. Die Idee basierend auf Mary Shelleys "Frankenstein" von einer Vater-Sohn-Beziehung im heutigen Ungarn zu erzählen, klingt ja noch interessant, doch unklar bleibt, worauf Mundruczo bei diesem zähen Drama über einen Film- und Theaterregisseur, der beim Casting für einen neuen Film den ihm unbekannten psychisch labilen Sohn so lange provoziert, bis er eine Darstellerin vor laufender Kamera ermordet, hinauswill. Nach weiteren Morden nimmt sich der Vater jedenfalls des einst verstoßenen Teenagers an und flieht mit ihm – wohl aufgrund der Förderung durch Cine Tirol – ins verschneite Osttirol.

Da der Film weder in heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen überzeugend verankert ist noch sich eine konsequente Auseinandersetzung mit einem universellen Thema erkennen lässt, scheint es sich hier – auch aufgrund der Tatsache, dass Mundruczo selbst den Regisseur und Vater spielt – um die Aufarbeitung eines persönlichen Traumas des Filmemachers zu handeln, dessen Hintergründe dem Zuschauer freilich unbekannt bleiben.