Contact

Anlässlich des Gastland-Auftritts von Neuseeland zur Frankfurter Buchmesse 2012 präsentiert der Frankfurter Kunstverein die Gruppenausstellung "Contact. Artists from Aoteroa/ New Zealand". Titelgebend ist eine Performance, die Jim Allen 1974 in der Auckland Art Gallery aufführte. Sie kreiste um ein weit gefasstes Konzept von "Kontakt" als einer mentalen, physischen und sozialen Wechselbeziehung und steht somit beispielhaft für eine Zeit in der neuseeländische Künstler verschiedene Wege der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und ihrem kulturellen Kontext suchten. Der Begriff "Contact" verweist auf das Beziehungsgeflecht zwischen den beiden dominanten Ethnien im bikulturellen Aotearoa/Neuseeland: Der indigenen Bevölkerung der Māori und den weißen Siedlern, "Pakeha".

Die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein vereinigt malerische, fotografische, filmische und installative Werke von 25 neuseeländischen Künstlern und entwirft so ein vielschichtiges Bild der Kunstproduktion der letzten vierzig Jahre in Aoteaora/Neuseeland. Sie zeigt einen multiperspektivischen Blick auf eine überaus aktive und heterogene künstlerische Szene im
Kontext zeitgenössischer Diskurse.

Neuseeland war und ist ein Land, in dem sich Einflüsse der unterschiedlichsten Herkunft und der vielfältigsten Art und Weise manifestieren. Die ersten Siedler der nur von Vögeln, Reptilien und Insekten bewohnten Inseln im Südpazifik waren vor ca. 850 Jahren Seefahrer polynesischer Herkunft. Ihre Nachfahren, die heutigen Māori, sahen sich erst im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert mit einer steigenden Zahl vor allem britischer Siedler konfrontiert. 1840 wurde der Vertrag von Waitangi geschlossen, der den Māori Souveränität über ihr Land zusicherte und zugleich die Hoheit der britischen Krone festlegte. Dieser Vertrag, dessen Original nur als Fragment überliefert ist, bildet die noch heute viel debattierte Grundlage der bi-kulturellen Identität Neuseelands, die seit 1975, seit Einrichtung des Waitangi-Tribunals, Staatsräson ist.

Eine Vielzahl neuer Einwanderungsströme aus europäischen Ländern, von den pazifischen Inseln, aus Süd- und Schwarzafrika, aus Asien und dem arabischen Raum stellt der damaligen Übereinkunft einer Bi-Kulturalität das Faktum einer Polykulturalität entgegen, die bislang weder soziologisch-theoretisch noch politisch-praktisch bewältigt wurde. Besonders im Ballungsraum Auckland führt dieser Konflikt zu Segregationen, Ghetto-Bildung, gated communities, Gewalt und Kriminalität.

Großbritannien beherrschte bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts Neuseeland nicht nur politisch, sondern auch in künstlerischer Hinsicht. Erst in den 1960ern begannen Maler wie Colin McCahon oder Gordon Walters die amerikanische Kunst neben jener des europäischen Kontinents zu rezipieren und mit modernistischen Ideen nach Neuseeland zurück zu kehren. Andere Künstler wie Len Lye, ein Pionier des abstrakten Films, hatten ihrer Heimat schon früh den Rücken gekehrt und blieben dort bis in die 80er Jahre völlig unbeachtet.

Für Jim Allen (* 1922, Wellington) waren Reisen nach Frankreich und Großbritannien, in die USA und nach Mexiko Wendepunkte seiner künstlerischen Praxis. In Paris und London, Chicago und New York wurde er Zeuge der Studentenrevolten, in Mexiko machte er die Bekanntschaft mit dem Werk Helio Oiticicas, dessen Parangolés er in einem Teil der dreiteiligen Performance in der Auckland Art Gallery 1974 seine Referenz erwies. Als wichtigster Vertreter der Post-Object-Art und als Lehrer an der Elam School of Fine Arts in Auckland hatte er einen nicht zu überschätzenden Einfluss auf die jüngere Kunstszene, unter anderem auf den Video- und Klangkünstler Phil Dadson (* 1946, Auckland). Von ihm ist in der Ausstellung eine fotografische Dokumentation einer Aktion zu sehen, in welcher er 1971 mit Freunden einen Strand an der Westküste fegte – im selben Jahr, als Beuys seine Aktion im Krefelder Wald durchführte, doch ohne Kenntnis von dessen Werk.

Das grundlegende Paradigma des Kontaktes in einem derart stark von der post-kolonialen Debatte geprägten Land wie Neuseeland ist der first contact, jene für die indigene Bevölkerung meist unheilvolle Begegnung mit den europäischen Siedlern. Dieser Begegnung, schwankend zwischen Unsicherheit, Herablassung und Respekt, Stolz, Wehmut und Aggression widmet sich Lisa Reihana (* 1969, Ngā Puhi) in ihrer mehrteiligen Video-Arbeit Native Portraits (Drama). Neue Technologien und alte Mythen greifen in den Arbeiten von Rachael Rakena ineinander, während Francis Upritchard mit nachempfundenen historischen Objekten neue hybride Formen entstehen lässt. Probleme einer vielschichtigen multikulturellen Gesellschaft im Zuge des Immigranten-Zustroms von den polynesischen Inseln sowie Lebensschicksale im Exil spiegeln sich in den Fotografien von Edith Amituanai.

"Contact" zeigt nicht nur künstlerische Auseinandersetzungen mit soziokulturellen Konflikten im heutigen Aotearoa/Neuseeland, sondern präsentiert auch poetische Zugänge zum Thema, wie beispielsweise in den Arbeiten von Dane Mitchell, oder den ortspezifischen Installationen von John Ward-Knox. Künstlerische Methoden und Prozesse von Maler/innen wie Judy Millar, die neben Francis Upritchard Neuseeland auf der Biennale von Venedig 2009 vertreten hat, oder Simon Ingram, der in seinen "Automata Paintings" regelhafte Prozesse ohne subjektive Intervention zu Kunstwerken erhebt, erweitern das Ausstellungskonzept.

KünstlerInnen: Jim Allen, Alberto García Alvarez, Edith Amituanai, Ruth Buchanan, Philip Dadson, Alicia Frankovich, Marti Friedlander, Simon Glaister, Murray Hewitt, Simon Ingram, Janet Lilo, Len Lye, Judy Millar, Dane Mitchell, Alex Monteith, Simon Morris, Fiona Pardington, Campbell Patterson, Rachael Rakena, Lisa Reihana, Peter Robinson, Sriwhana Spong, Francis Upritchard, Daniel von Sturmer, John Ward-Knox

Contact. Artists from Aotearoa/New Zealand
5. Oktober bis 25. November 2012