Concrete – Fotografie und Architektur

Architekturen und Städte sind Körper und Bilder zugleich. Sie werden unmittelbar körperlich, sinnlich, aber ebenso über Bilder erlebt. Bilder sprechen eine eigene Sprache, bieten einen anderen Diskurs als die körperliche Erfahrung von Architektur. Sie verwandeln Volumen in Fläche, sie destillieren Materie zu Form und Zeichen. Fotografie formt Architektur, verformt sie, vergrössert, verkleinert, erhöht oder erniedrigt sie, akzentuiert sie, aber kaum je wird Architektur "in Ruhe gelassen".

"Concrete – Fotografie und Architektur" will sich dem eigentümlichen, vielfältigen Verhältnis von Architektur und Fotografie auf verspielte, erzählerische und dialektische Weise annähern. Die Ausstellung fragt nach Historie und Ideologie, aber auch ganz konkret nach Form und Materie im fotografierten Bild.

Die visuelle Anziehungskraft von zerstörten oder zerfallenen Gebäuden wird ebenso thematisiert, wie wuchtige Macht- und Abgrenzungsdemonstrationen, aber auch Fragilität und Schönheit einer Architektur auf Zeit. Inwiefern beeinflusst die Fotografie nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch die Gestaltung von Architektur? Wie wird Architektur im Bild lebendig, wann wird sie unheimlich? Wie wachsen Siedlungen zu Städten zusammen? Oder soziologischer gefragt: Wieso verschränken sich Arbeit und Leben in Zürich und Winterthur anders als in Kalkutta? Und wie lassen sich Wolkenkratzer und Wohnräume in die flache Welt der Fotografie übertragen?

"Concrete – Fotografie und Architektur" ist jedoch nicht chronologisch geordnet. Stattdessen wird mit markanten Setzungen, Gegenüberstellungen und thematischen Feldern gearbeitet, die Konkretes, Grundsätzliches und Historisches miteinander verbinden. Neben Alltagsarchitektur und Prachtbauten, strukturierenden horizontalen und vertikalen Achsen, neben Haus und Heim, Utopien, Plan und Wirklichkeit wird auch die anziehende Vergänglichkeit der Architektur durch den Zahn der Zeit, durch natürliche und absichtliche Zerstörungen eine wichtige Rolle spielen. Fast scheint es, als wolle die Fotografie die in Stein gehauene und in Beton gegossene Wucht und Macht moralisch auch an ihre Schwäche erinnern.

Die Architektur ist seit jeher ein grossartiger und heftig debattierter Schauplatz von Zeitgeist, Weltanschauung, Alltag und Ästhetik. Sie ist gewagte Materialisierung von privaten und öffentlichen Visionen, Gebrauchskunst und Avantgarde zugleich, und sie ist auch, wie Slavoj Žižek schreibt, "Stein gewordene Ideologie". Fotografie und Architektur sind beide aber auch ganz selbstverständlich in unserem Alltag verankert, sie begegnen uns täglich – oft unbewusst – auf Schritt und Tritt, und beeinflussen unser Denken, Handeln und Sein auf untergründige, nachhaltige Art und Weise. "Concrete – Fotografie und Architektur" gibt visuelle Antworten auf die Frage, was das innige und doch so komplizierte Verhältnis zwischen Architektur und Fotografie, zwischen Architekt und Fotograf auszeichnet.

Die Ausstellung zeigt über 400 Fotografien und Werkgruppen aus dem 19., 20. und 21. Jahrhundert, von William Henry Fox Talbot, Domenico Bresolin und Charles Marville über Germaine Krull, Lucia Moholy bis zu Julius Shulman, und schlägt einen Bogen zu zeitgenössischen Positionen wie Georg Aerni, Iwan Baan, Luisa Lambri und Hiroshi Sugimoto. Forschungsprojekte wie die fotografische Langzeitbeobachtung Schlierens oder Wolfgang Scheppes Migropolis verdeutlichen, dass künstlerische Fotografie als Instrument von Forschung und Erkenntnis eine zunehmend wichtigere Rolle spielt.

Begleitend zur Ausstellung erscheint ein reich illustriertes Buch im Verlag Scheidegger & Spiess mit rund 300 Farb-und S/W-Abbildungen, Essays von Jochen Becker, Johannes Binotto, Verena Huber Nievergelt, Michael Jakob, Nicoletta Leonardi, Lorenzo Rocha, Caspar Schärer, Aveek Sen und Urs Stahel sowie einem Gespräch mit Annette Gigon, Meret Ernst und Armin Linke.

Concrete – Fotografie und Architektur
2. März bis 20. Mai 2013