"Cinema Italiano 2012" – Vier neue Filme aus Italien in den deutschschweizer Kinos

8. Oktober 2012 Walter Gasperi
Bildteil

Bereits zum vierten Mal hat Cinelibre in Zusammenarbeit mit dem Verein Made in Italy eine Reihe mit vier neuen italienischen Filmen zusammengestellt, die im deutschsprachigen Raum keinen offiziellen Verleiher gefunden haben. Noch bis Ende Dezember sind diese Spielfilme in italienischer Originalfassung mit deutschen Untertiteln in acht deutschschweizer Städten in den Programmkinos und Filmklubs zu sehen.

Vielfalt kennzeichnet die Auswahl des Cinema Italiano 2012. Der Bogen spannt sich vom Drama aus dem Zweiten Weltkrieg über eine verspielte Komödie, in der ein Drehbuchautor in die Welt seiner Figuren eintritt, und einen feinfühligen Frauenfilm bis zu einer Low-Budget-Komödie über Freundschaft und multikulturellen Gemeinschaftssinn. Auch der geographische Rahmen ist weit gespannt. In keinem der Filme ist Rom der Schauplatz, dafür entführen sie nach Mailand und Neapel, sowie in eine bäuerliche Region in der Nähe von Bologna.

In letzterer spielt Giorgio Dirittis "L´uomo che verra". Wie schon in seinem vor zwei Jahren im Rahmen von Cinema Italiano gezeigten "Il vento fa il suo giro" schildert Diritti im Stile von Ermanno Olmis "Der Holzschuhbaum" eine bäuerliche Welt. Wieder wurde auch im lokalen Dialekt gedreht, doch dieses Mal spielt die Handlung nicht in der Gegenwart, sondern während des Zweiten Weltkriegs, zwischen Dezember 1943 und September 1944.

Ganz aus der Perspektive der achtjährigen Martina, die seit dem Tod ihres jüngeren Bruders nicht mehr spricht, erzählt Diritti. Fern scheint der Krieg und der Wechsel der Jahreszeiten bestimmt das karge bäuerliche Leben. Martinas Mutter erwartet wieder ein Kind, aber mit der Geburt nähert sich auch der Krieg. Partisanen verstecken sich in den Bergen und bitten um Hilfe, während deutsche Soldaten die Region durchkämmen, zuerst Vieh konfiszieren, dann die Bevölkerung zu einem Massaker zusammentreiben – und inmitten der Gräuel wird ein Kind geboren.

Sorgfältig bettet Diritti die Handlung in die Region und den sozioökonomischen Kontext ein. Er lässt sich viel Zeit für die Schilderung der einfachen, stark vom katholischen Glauben geprägten Welt, ehe er die Gewalt und den Krieg in diese friedliche, aber harte Welt einbrechen lässt. Verstörend wirkt der Film im kindlichen Blick auf das Massaker und dem Aufeinanderprallen von Geburt und Tod, bewegt aber auch durch diese Arbeit mit Gegensätzen. Einerseits ruft Diritti mit der Schilderung des Massakers von Marzabotto, bei dem die SS über 770 Zivilisten tötete, erschütternd eine der grausamsten Aktionen der Nazis in Erinnerung, andererseits ist sein Film aber auch zeitlos, zeigt er doch eindringlich, wie die Leidtragenden eines Krieges letztlich immer die Zivilbevölkerung, unbeteiligte Frauen und Kinder sind.

Leichtere Kost ist Gabriele Salvatores "Happy Family". Der in Neapel geborene, aber in Mailand aufgewachsene Salvatores erzählt vom knapp 40-jährigen Drehbuchautor Ezio, der mit seinem neuen Auftrag nicht recht weiter kommt. Wie er seine Sorgen und Nöte direkt ans Kinopublikum formuliert, so treten auch seine Figuren förmlich aus dem Film im Film heraus und stellen sich dem Publikum vor. Doch nicht genug damit, sie sprechen auch aus dem Laptop zu ihrem Autor Ezio und beschweren sich, dass ihre Rollen zu klein sind.

Weil sich Ezio, dessen Leben von zahllosen Ängsten bestimmt ist, aber wiederum in eine seiner Figuren verliebt, taucht er selbst in die Welt seines Films ab, nimmt an einem Essen der beiden Familien, die im Zentrum seines Buchs stehen teil und knüpft zarte Bande zur Tochter des Hauses.

Gabriele Salvatores wandelt mit diesem Film nicht nur auf den Spuren von Luigi Pirandellos "Sechs Autoren suchen einen Autor", sondern erinnert im Spiel mit Realität und Film im Film auch an Spike Jonzes "Adaptation" oder Michel Gondrys "Eternal Sunshine of the Spotless Mind", in der Zeichnung der skurrilen Mitglieder der beiden Familien aber wieder an die Filme von Wes Anderson.

Wunderbar leichthändig und verspielt ist das inszeniert, locker streut Salvatores auch in bestechendem Schwarzweiß gefilmte Traumsequenzen, Rückblenden und Erinnerungen an andere Geschichten ein oder lässt auch zwei Hunde einen inneren Monolog führen.

Ansteckend ist diese Komödie, die von einem lustvoll aufspielenden Schauspielerensemble getragen wird und auch durch die in warme Gold- und Rottöne getauchten Bilder gute Laune verbreitet, in seiner befreiten Erzählweise und Unbekümmertheit, gleitet aber nie in Klamauk ab, sondern dreht sich im Kern doch um die nie stillbare Sehnsucht nach Glück.

Dieses Glück scheint auch der 40-jährigen Maria abhanden gekommen zu sein. Als sie nach einem One-Night-Stand schwanger wird und im sechsten Monat eine Frühgeburt erleidet, kommt ihr Leben aber aus dem Rhythmus. Eine Zeit des Wartens – so auch der Titel von Federica Pontremolis Roman – beginnt für sie jetzt in Francesca Comencinis "Lo spazio bianco". Der weiße Raum im Krankenhaus, in dem sie neben dem Brutkasten ihres Töchterchens sitzt, wird zum Zentrum ihres Lebens, das zwischen Hoffen und Bangen pendelt. Zunehmend wird dabei auch ihre Unsicherheit spürbar.

Großartig ist Margherita Buy in der Hauptrolle. In jeder Szene ist sie präsent, auf Schritt und Tritt folgt ihr die Kamera. Doch die Fokussierung auf ihrem Warten verlangt vom Zuschauer auch einiges an Einfühlungsvermögen und Geduld.

Einen Gegenpol zu diesem ruhigen Frauenfilm bietet Paola Randis überdrehte Komödie "Into Paradiso". Formal einfallsreich erzählt die Mailänderin von einem schüchternen arbeitslosen Wissenschaftler, einem in korrupte Machenschaften verwickelten Politiker und einem ehemaligen Kricket-Champion aus Sri Lanka, der auf der Suche nach dem Paradies ausgerechnet in Neapel gelandet ist. Kaum gegensätzlicher könnten die Protagonisten sein und doch müssen sie in diesem "optimistischen Märchen" (Randi) gemeinsam im Migrantenviertel von Neapel in einer illegal errichteten Hütte auf einem Hausdach Unterschlupf suchen, denn ein Auftragskiller ist den beiden Italienern auf den Fersen.