Buch-Unikate des Schweizer Fotografen Jakob Tuggener

Jakob Tuggener (1904-1988) gehört zu den Ausnahmeerscheinungen der Schweizer Fotografie des 20. Jahrhunderts. Selbstbewusst verstand er sich von Anfang an als Künstler.  Die ausdrucksstarken Aufnahmen von rauschenden Ballnächten sind legendär und das Buch Fabrik von 1943 gilt als ein Meilenstein der Geschichte des Fotobuchs. Doch noch ein drittes, bisher kaum beachtetes Thema liess Tuggener nicht los: das einfache Leben auf dem Land.

Schon in den frühen 1930er-Jahren, nach seiner kurzen gestalterischen Ausbildung an der Reimannschule in Berlin, beginnt sich Tuggener für das ländliche Leben und die Traditionen seiner Heimat zu interessieren. Dieser Fokus hat sicher mit den politischen Entwicklungen in Europa zu tun, welche die Schweiz veranlassen, sich auf die eigenen Werte zu besinnen und diese auch mittels der illustrierten Presse zu verbreiten. Während sich Tuggener als freier Industriefotograf den Lebensunterhalt verdient, gelingt es ihm, sich bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs mit Aufnahmen vom Alltag auf dem Land, von Viehmärkten und Volksfesten einen Namen zu machen. Im anschliessenden Aktivdienst bleibt ihm genügend Zeit, das Thema weiterzuverfolgen und auch die Veränderungen der Jahreszeiten mit der Kamera festzuhalten. Bereits 1942/43 stellt er aus seinen seit Mitte der 1930er-Jahren entstandenen Aufnahmen vier individuelle Buchmaquetten zusammen – selbst gestaltete, druckbereite Buch-Unikate. Doch wie auch alle seiner späteren Buchmaquetten finden sie nie einen Verleger, der sie genau so, wie Tuggener es sich vorstellte, publizieren wollte. Nur eine kleine Auswahl von Bildern wird 1946 von Arnold Kübler in der Zeitschrift Du vorgestellt. "Tuggener versucht in Bildern, das innere Leben der Menschen und Dinge anzudeuten", schreibt Kübler dazu und weist auf Tuggeners spezielle Art hin, mit der Abfolge und der Gegenüberstellung von Fotografien einen künstlerischen Ausdruck zu erreichen, der weit über das Dokumentarische hinausgeht.

Fast dreissig Jahre später, in einem von Überfremdungsängsten geprägten gesellschaftlichen Umfeld, stellt Tuggener unter dem Titel "Die 4 Jahreszeiten" noch einmal vier Buchmaquetten zusammen. Sie entstehen im Zuge der Vorbereitung seiner ersten grossen Retrospektive im Helmhaus Zürich 1974, die er als eine Art Bogen mit Kapiteln von der "Natur der Schweiz" bis zur "Ruhe und Erde des Bauernlebens" konzipiert. Mit Fotografien aus den Jahren 1932 bis 1973 gehören die vier Buchmaquetten zu den letzten und umfangreichsten, die Tuggener während seiner langen Karriere geschaffen hat. Zusammen stellen sie ein klassisches Bild der vier Jahreszeiten dar, wie es aus der Musik und der Malerei bekannt ist. Es widerspiegelt in sensibel beobachteten, atmosphärisch aufgeladenen, doch nie pittoresken Aufnahmen den immer wiederkehrenden Zyklus der Natur und ist gleichzeitig eine Reflexion über das Leben und die Vergänglichkeit.

Die Ausstellung in der Fotostiftung Schweiz präsentiert neben Tuggeners vier Buch-Unikaten auch viele weitere Fotografien, die vor Augen führen, wie intensiv sich dieser Meister der Schwarzweiss-Fotografie mehr als 30 Jahre lang dem Thema "Landleben" widmete.

Jakob Tuggener – Die 4 Jahreszeiten
Bis 20. Mai 2024