Blutbetriebene Kameras und quellende Räume

Mit ihren farbenfrohen Bildweiten und wild-wuchernden Installationen hat Pipilotti Rist die Welt der Kunst erobert. Geboren 1962 in Grabs im St.Galler Rheintal, gilt sie inzwischen als wegweisende Figur der zeitgenössischen Videokunst. 1994 fand im Kunstmuseum St.Gallen unter dem Titel "I"m not the girl who misses much - Ausgeschlafen, frisch gebadet und hochmotiviert" im Rahmen des Manor-Kunstpreises ihre erste Museumsausstellung statt, die anschliessend in der Neuen Galerie in Graz und im Kunstverein Hamburg gezeigt wurde und den Beginn einer unvergleichlichen Künstlerinnenlaufbahn markierte.

Ausstellungen in bedeutenden Häusern weltweit folgten: 1998 im Hamburger Bahnhof, Berlin, 2001 im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid, 2007 im Centre Georges Pompidou in Paris und im Magasin 3, Konsthall Stockholm und 2008 im Museum of Modern Art, New York. 2005 realisierte die Künstlerin in Zusammenarbeit mit dem Architekten Carlos Martinez in St.Gallen die Stadtlounge. Im gleichen Jahr vertrat sie die Schweiz an der 51. Biennale von Venedig. 2008 kam ihr erster abendfüllender Spielfilm Pepperminta in die Kinos.

Pipilotti Rist beschäftigt sich seit jeher mit der visuellen und auditiven Beschreibung der Gefühle, welche Bilder und Töne ergeben, "wenn du berührt wirst oder wenn du jemanden berührst" (Rist). Die beinahe malerische Behandlung und die raumgreifende Inszenierung ihrer Videos sind ebenso charakteristisch für ihre unverwechselbare künstlerische Sprache wie spektakuläre Kamerafahrten und sich überschlagende Bilder, die zusammen mit technischen Verfremdungen und assoziativen Montagen in traumartigen Sequenzen in einen alles umfassenden leuchtend-farbigen Bilderstrom münden.

Raffiniert befragt die Künstlerin dabei den vermeintlichen Wirklichkeitsgehalt des Mediums Video und schafft zugleich ihre eigenen sinnlichen Bildräume, in die man eintauchen und in denen man einzigartige Glücksgefühle erleben kann: "Video ist die Synthese von Musik, Sprache, Malerei, Bewegung, "miesen-fiesen" Bildern, Zeit, Sexualität, Erleuchtung, Hektik und Technik. Das ist das Glück des Fernsehschauenden und der Videokünstler." (Rist) Dazu merkt Stephanie Rosenthai treffend an: "Rist verführt ihr Publikum, den eigenen Gedanken zu folgen, die inneren Bilder in Fluss zu bringen und die Perspektive auf die Welt zu verschieben, neue Facetten zu entdecken. Wie einen Freund nimmt sie uns bei der Hand und schärft unsere Aufmerksamkeit."

Die Ausstellung "Blutbetriebene Kameras und quellende Räume" entstand in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin eigens für die Räume des Kunstmuseums St.Gallen und wurde in Kooperation mit der Londoner Hayward Gallery und der Kunsthalle Mannheim realisiert. Sie führt ausgewählte Einkanalvideoarbeiten aus den Anfangsjahren ihrer bildkünstlerischen Recherchen zusammen mit bedeutenden frühen Installationen wie "Eine Spitze in den Westen - ein Blick in den Osten" (1992), in der die Besucher gewissermassen eins werden mit dem raffiniert gestalteten Projektionsobjekt, oder "Selbstlos im Lavabad" (1994). Mit der hierzulande erstmals ausgestellten raumgreifenden Installation "Administrating Eternity" (2011) und dem speziell für die Ausstellung geschaffenen Farblabor im Nordostraum gewährt die Ausstellung zudem Einblicke in ihr aktuelles Schaffen, in dem sie ihre Forschungen auf dem Gebiet der Augapfelmassage für uns entscheidend weitertreibt - und selbst in den Aussenraum des Museums verlängert.

Mit einer konzisen Werkauswahl verwandelt Pipilotti Rist das Kunstmuseum St.Gallen in eine ebenso präzis gesetzte wie wundersam choreographierte Landschaft für sinnliche Körper- und Raumerfahrungen. "Blutbetriebene Kameras und quellende Räume" ist Pipilotti Rists erste retrospektiv angelegte Werkschau in der Schweiz und zugleich eine vorübergehende Heimkehr der Künstlerin in ihre Heimat.

Katalog: Zur Ausstellung erscheint im Prestel Verlag eine umfangreiche Publikation mit Texten von Konrad Bitterli, Elisabeth Bronfen, Chrissie Isles, Stefanie Müller und Stephanie RosenthaI.

Pipilotti Rist
Blutbetriebene Kameras und quellende Räume
2. Juni bis 25. November 2012