Blockbuster und Arthouse-Filme – Das neue koreanische Kino

18. November 2013 Walter Gasperi
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Praktisch aus dem Nichts heraus stieg Korea in den letzten 15 Jahren zu einer filmischen Großmacht auf. Kim Ki-duk gehört zu den regelmäßigen Gästen auf den großen Filmfestivals, Park Chan-Wok wurde nach großen Erfolgen mit "Old Boy" und der "Mr. Vengeance"-Trilogie nach Hollywood gelockt und auch ein südkoreanischer Blockbuster wie der Horrorfilm "The Host" schaffte den Sprung in die europäischen Kinos. Eine Filmreihe im Stadtkino Basel, im Kunstmuseum Bern, im Filmpodium Zürich, der Cinémathèque suisse in Lausanne und den Cinémas du Grütli in Genf bieten mit aktuellen Produktionen einen Einblick in die Vielfalt des Filmschaffens im ostasiatischen Staat.

Ulrich Gregor konnte in seiner 1978 erschienenen "Geschichte des Films" die südkoreanische Filmproduktion noch mit einem Satz als "weitgehend kommerziell und auf die Befriedigung inländischer Bedürfnisse abgestimmt"(1) abtun. Erste Ansätze eines künstlerisch ambitionierten Kinos entwickelten sich erst in den 1980er Jahren. Einzelne Filme von Im Kwon-taek, der heute als der Altmeister des koreanischen Kinos gilt, liefen auf Festivals und Bae Yong-kyuns "Warum Bodhi-Dharma in den Orient aufbrach" (1989) schaffte Anfang der 1990er Jahre sogar den Sprung in die europäischen Programmkinos.

Seit Ende der 1990er Jahre entwickelte sich Korea schließlich zum Kinowirtschaftswunderland Asiens. Nicht zuletzt bedingt durch ein Gesetz, das Kinobetreiber verpflichtete an mindestens 106 Tagen im Jahr koreanische Titel zu spielen, wurden fast 50 Prozent der Einnahmen an den Kinokassen von einheimischen Produktionen eingespielt. Die Entwicklung hält an. 2011 und 2012 konnten mit über 100 Millionen Eintritten die Zuschauerzahl für koreanische Filme gegenüber 2008 vervierfacht werden.

Ausländische Produktionen inklusive Hollywood bringen es dagegen insgesamt nicht einmal mehr auf 50% der koreanischen Kinobesucher, obwohl das Quotensystem zum Schutz des einheimischen Kinos schon vor einigen Jahren abgeschafft wurde. Und auch die Filmproduktion blüht: 2011 wurden in Korea 216 und 2012 229 Filme produziert.(2)

Das Mainstreamkino richtet sich zwar vor allem ans koreanische Publikum, doch gelang Bong Joon-ho mit dem Monsterfilm "The Host" (2006), in dem US-Militärs durch die Entsorgung von Giftmüll ein Monster gebären, ebenso wie mit dem Detektivfilm "Mother" (2009) auch der Sprung in die internationalen Kinos. Diese Erfolge ermöglichten Bong auch die Realiseurng des Science-Fiction-Films "Snowpiercer", der als koreanisch-französisch-amerikanische Koproduktion mit einem Budget von 40 Millioen Dollar gedreht und in 167 Länder verkauft werden konnte. In Südkorea konnte diese Verfilmung des französischen Comics "Le Transperceneige", in dem in einer vom Dritten Weltkrieg zerstörten Welt eine neue Eiszeit anbricht, allein in den ersten drei Wochen nach der Weltpremiere acht Millionen Eintritte verbuchen.

Zu den Großerfolgen zählt auch das historische Epos "Masquerade", in dem Choo Chang-minh von einem König im 17. Jahrhundert erzählt, der einen Komödianten als Doppelgänger engagiert, der schließlich eine Veränderung der Politik zum Positiven erreichen kann. Wird hier indirekt Kritik an der gegenwärtigen Politik und Korruption geübt, so thematisieren kleine Filme wie der mit einem minimalen Budget an nur vier Tagen gedrehte "Fatal" auch ganz direkt das korrupte Justizsystem. (3)

Gleichzeitig mit dem wirtschaftlichen Aufschwung setzte aber auch eine bis heute anhaltende künstlerische Blüte ein, die sich international vor allem in den Erfolgen von Kim Ki-duk und Park Chan-Wook manifestierte. Letzterer sorgte mit seinem humanistischen Korea-Drama "Joint Security Area" (2000) bei der Berlinale 2001 für Aufsehen, begeisterte die Kritiker mit seinem Thriller "Sympathy for Mr Vengeance" (2002) und wurde für seinen ebenso virtuosen wie brutalen "Oldboy" (2004) in Cannes mit dem "Großen Preis der Jury" ausgezeichnet. Auch Hollywood wurde auf Parks effektreichen Thriller aufmerksam und sowohl der Vampirfilm "Thirst" als auch der sich an Hitchcock orientierende "Stoker" entstanden in den USA, während Spike Lee ein Remake von Parks "Oldboy" drehte.

Während die meisten jüngeren koreanische Regisseure ihr Handwerk an Filmhochschulen lernten, begann Kim Ki-duk seine Karriere als Autodidakt. Schuld und Sühne sind zentrale Themen des 1960 geborenen Kim, extreme Gewaltdarstellungen kommen dabei nicht zu kurz. 2000 schockierte er das Publikum mit "Seom – Die Insel", in dem eine Frau Angelhaken schluckt. Seinen größten kommerziellen Erfolg landete er aber mit der ruhigen, bildschönen Meditation "Spring, Summer, Fall, Winter, ... and Spring" (2003).

Nach einem beinahen tödlichen Unfall einer Schauspielerin bei Dreharbeiten zog er sich 2008 vom Filmschaffen zurück, lebte als Eremit und verarbeitete diese Erfahrungen in "Airang", ehe er mit "Pieta" zu seinen ursprünglichen Themen und auch zu seiner beklemmenden, drastische Gewalt nicht aussparenden Erzählweise zurückkehrte. Im Mittelpunkt dieses 2012 in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten Dramas steht ein Geldeintreiber, der in seinem Job auch zu brutalen Mitteln greift, dann aber scheinbar seiner ihm unbekannten Mutter begegnet, die in ihm Schuldgefühle zu wecken vermag.

Sanftere Töne schlagen Hong Sang-soo und Lee Chang-dong an. Hong, dessen Filme sowohl mit denen Eric Rohmers als auch mit denen Yasujiro Ozus verglichen werden, erzählt immer wieder – wie auch zuletzt in dem in Locarno preisgekrönten "Our Suunhi" - leise von Beziehungen zwischen Männern und Frauen, von (Film-)Fantasie und Realität, vom Essen und Trinken.

Zu den Kalligraphen des Kinos kann man auch Lee Chang-dong zählen. Nach Festivalerfolgen mit "Oasis" (2002) und "Secret Sunshine" (2007) legte Lee, der von 2003 bis 2004 südkoreanischer Kulturminister war, 2009 das Drama "Poetry" vor, das in Cannes mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet wurde. In langsamem Erzählrhythmus und überlegten Einstellungen erzählt Lee darin fast ohne Musik von einer langsam an Alzheimer erkrankenden 65-jährigen Frau, die durch die Beschäftigung mit Poesie lernt, die Schönheiten des alltäglichen Lebens zu entdecken.

Unübersehbar geht es dabei nicht nur um die erzählte Geschichte, sondern auch um ein Plädoyer für ein poetisches Kino, das den Zuschauer nicht überwältigt, sondern langsam – sofern er Geduld und Einfühlungsvermögen aufbringt - in seinen Bann schlägt.

Anmerkungen:
(1) Gregor, Ulrich, Geschichte des Films. Bd.4, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1983 (Originalausgabe 1978), S. 483
(2) vgl. Flubacher-Rhim, An Cha, Neues koreanisches Autorenkino – Zwischen Gesellschaftskritik und Publikumshit - http://www.kinokunstmuseum.ch/themas/show/441 (zuletzt abgerufean am 1.11. 2013)
(3) ebd.

Trailer zu "Pieta"