Bitte berühren!

Haptik und Sensorik sind Schlüsselbegriffe im Design von Alltags- und Konsumprodukten. Im Museum geht dieser Aspekt oft unter. Für einmal fordert die neue Ausstellung im Schaudepot des Museum für Gestaltung Jung und Alt dazu auf, die ausgestellten Objekte lustvoll zu begreifen.

Der Tastsinn ist zweifellos der komplexeste unserer Sinne. Er nimmt dreidimensionale Formen und Körper ebenso wahr wie Texturen, reagiert auf Vibrationen, spürt Temperatur und Druck. Tasten bedeutet weit mehr, als nur mit Händen zu greifen und zu fühlen. Unsere gesamte Hautoberfläche kundschaftet unablässig aus, was von aussen auf unseren Körper trifft und wie sich dieser zum Raum verhält. Vom zarten Hauch einer Feder bis zum harten Aufprall kann unser Körper ein breites Spektrum an einwirkenden Kräften unterscheiden. Gerade in unserer visuell ge-prägten Kultur bedient das haptische Wahrnehmen konkreter Gegenstände jedoch eine zunehmend seltenere sinnliche Erfahrung. Umso deutlicher manifestiert sich der gegenwärtige Trend zu (Multi-)Touch-Technologien. Kaum ein neueres Gerät im privaten Haushalt oder ein Apparat im öffentlichen Raum, die nicht über Sensoren funktionieren.

Die Hände sind natürliche Werkzeuge. Ausgestattet mit Sensoren, baut sich bereits das Kleinkind ein taktiles Lexikon auf, das für seine Entwicklung existentiell ist. Im Alltag der Erwachsenen folgen dann die meisten Handgriffe pragmatischen Kriterien. Die wenigsten Leute machen sich Gedanken darüber, wie der Gegenstand, den sie berühren, gestaltet ist und wie er sich anfühlt. Organisch geformte Türdrücker, Rillen an der Unterseite eines Kunststoff-Pfannengriffs: Die Ausstellung knöpft sich in einem ersten Schritt unspektakuläre, dafür umso grundlegendere Aspekte der Thematik vor, um sie spielerisch zu beleuchten. Den Anfang des Ausstellungs-Rundgangs macht das so genannte "Griffhaus", eine installative Anordnung unterschiedlicher Türdrücker und gängiger Griffe.

Zumal wenn der Sehsinn eingeschränkt oder gänzlich ausgeschaltet ist, wird Tasten zu einem wichtigen Akteur beim Erkennen und Identifizieren von Objekten. Dass diese Form des Berührens auch im Alltag Nicht-Sehbehinderter ihren festen Platz hat, wird etwa dann deutlich, wenn wir zuunterst in der Tasche nach dem Hausschlüssel suchen. Dabei spielen die Wiedererkennbarkeit der Produktform, Dimensionen und Materialität oder besondere haptische Qualitäten eine wichtige Rolle. In der Medizin ist die Palpation, d.h. die Untersuchung des Körpers durch Betasten, eines der ältesten Diagnoseverfahren. Tastmodelle aus Silikon ermöglichen Lehrenden das Einüben der Techniken zur Erkennung von Brust- oder Prostatakrebs. Das Museums-Publikum seinerseits kann sich den haptischen Reizen einer echten Brust aus Silikon hingeben oder den Tastsinn anhand von nicht sichtbaren Design-Objekten schulen.

Berührung löst in der Regel Empfindungen aus. Beim Verursacher wie beim Empfänger. Je nach Situation lassen sich diese Reaktionen auf einer Skala zwischen Wohlbefinden und Ekel einordnen. "Bitte berühren!" packt die sinnlichen, emotionalen und sexuellen Aspekte der Thematik unvoreingenommen an. Denn ein nicht unbeträchtlicher Teil der gängigen Industrie- und Konsumgüterproduktion lebt just von der (simulierten) Sinnlichkeit. So mag die kunstvolle Lovedoll als Ersatz-Frau und Sexualobjekt ethisch diskutabel sein. Der Werkstoff Silikon indes wird ästhetisch vergleichbar auch bei biomedizinischen Handprothesen als Haut-Ersatz eingesetzt. Was ist anderseits vom boomenden Markt der Kunststoff-Kuscheltiere zu halten? Und davon, dass diese den kindlichen Umarmungen mit stereotypen Reaktionen antworten, die über Berührungs-Sensoren hervorgerufen werden? Tröstet es uns, wenn wir einen kleinen Roboter mit Plastik-Haut umarmen, um damit die abwesende Person zu spüren?

Mit der kommerziellen Einführung des iPhones wurde die Multi-Touch-Technologie 2007 einer grösseren Öffentlichkeit bekannt. Seither reitet sie auf einer ungebrochenen Erfolgswelle. Ob damit eine zunehmend ausgefeiltere sensorische Beweglichkeit von Hand und Fingern einhergeht, ist fraglich. Ebenso unbestätigt steht demgegenüber die These im Raum, reale haptische Erlebnisse mit Objekten aus der Welt des Produktdesigns würden immer seltener. In der Ausstellung kann mit dem Spiel "Room Racers" ausprobiert werden, wie digitale Rennautos in Realtime analoge Hindernisse umfahren. Noch Handfesteres bietet sich dem Publikum allerdings mit einer Boulderwand im Ausstellungsraum. Während hier nach Belieben und Können Hand angelegt werden kann, darf man die Objekte aus der Sammlung des Museums nicht berühren: Diese sind zur Sicherheit hinter Plexiglas ausgestellt.


Bitte berühren!
27. November 2015 bis 20. März 2016