Begeisternder Auftakt der Bregenzer Literaturtage

Die Stadt neu lesen. Zu den Bregenzer Literaturtagen, die ab nun alle zwei Jahre zu Ostern stattfinden, werden fünf neue Bezirke definiert und Namen vergeben: "Den ersten dieser neuen Stadtteile haben wir, grob gesprochen, aus Schendlingen und Neu Amerika zusammengebaut und 'Flussstadt' genannt, weil er im Südwesten von der Bregenzerach abgegrenzt wird. Uns ist zwar bewusst, dass die Ach eher ein breiter Bach als ein Fluss ist und sie diesen Titel auch deshalb nicht tragen dürfte, weil sie nicht schiffbar ist. Allerdings führt sie regelmäßig und zu allen Jahreszeiten Wasser, was wiederum ein wichtiges Charakteristikum für Flüsse ist."

Das Team der Literaturinitiative Bregenz formierte sich mit Katharina Leissing, Wolfgang Mörth, Susanne Denk und Hubert Dragaschnig nach längerem Vorspann: Ursprünglich als hoteleigene Veranstaltung im Bregenzer Hotel Schwärzler, wuchs "Literatur im Schwärzler" schnell zu einem literarischen Fixpunkt im Vorarlberger Kulturprogramm heran. Daraus wurde ein jährliches viertägiges Literatursymposion. Beim spektakulären Abschlussfest 2019 entstand die Idee für das nächste Konzept: durch die verschiedenen Stadtteile wandern, um dort an besonderen Orten die Texte von interessanten Autor:innen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum erlebbar zu machen.

Als Zentrum der Flussstadt und Veranstaltungsort der Bregenzer Literaturtage 2024 rückt die Achsiedlung in den Fokus. Das größte Wohnbauprojekt Vorarlbergs, mit fünfzig schachbrettartig angeordneten Gebäuden, wurde zwischen 1974 und 1982 in mehreren Etappen gebaut und bot 839 erschwingliche Einheiten für rund 2.500 Leute. Geplant von den Vorarlberger Architekten Jakob Albrecht und Gunther Wratzfeld sowie dem für seine Raumstadtkonzepte bekannten deutschen Architekten Eckehard Schulze-Fielitz, setzte diese Siedlung neue Maßstäbe als ergiebiges Diskussions- und Lehrexempel. Die Achsiedlung wurde als erster Austragungsort also nicht nur deshalb gewählt, weil kulturelles Geschehen in Bregenz eine zumindest temporäre Verlagerung an die Peripherie vertragen kann, sondern auch, weil sie die Bevölkerungsstruktur hier realistischer abbildet als die meisten anderen Siedlungsräume. Außerdem bietet sie seit der Sanierung des Uferbereichs den unmittelbarsten Zugang zum Gewässer. Flussstadt!

Im Begegnungszentrum der Achsiedlung, wo offensichtlich kirchliche Feiern stattfinden, wartete schon die erste Highlight-Gruppe, mit der direkt von der Leipziger Buchmesse angereisten Preisträgerin Barbi Marković. Dass der Kollege, der an diesem Standpunkt die Moderation übernehmen sollte und simpel gehalten nur die Namen aufrief (wir hätten doch außer dieser Sensationsmeldung zumindest erfahren wollen, dass sie in Belgrad geboren ist und seit 2006 in Wien lebt), verstörte schon etwas, doch das kundige Publikum bemerkte gleich, dass die Autorin aus ihrem neuesten Roman Minihorror (2023, Residenz) vorlas. Restlos begeistert waren wir, mussten oftmals auflachen, ob der pointierten Szenen, und hätten gerne noch weiter gelauscht. (Unbedingt das Buch besorgen!)

Die Niederösterreicherin Cornelia Hülmbauer ließ aussuchen: zwischen Lyrik, nämlich "ENTA", die sie für das Begleitbüchlein "Flussstadt" geschrieben hat; Passagen aus ihrem Roman "oft manchmal nie" (2023, Residenz), siehe begeisterte Buchrezension hier auf kultur online; oder einer poetischen Familienaufstellung, "MAU OEH D", ihrem Lyrikdebut von 2018. Vorlaute wünschten sich letzteres, und es war hervorragend dicht, zutiefst berührend!

Klug gedacht vom Organisationsteam, dass an den vier Stationen zu angegebenen Zeiten immer dieselben Autor:innen lasen, sich also nur das Publikum bewegte und nichts auslassen musste. Was diese wiederum zum Besten gaben, divergierte. So wie im Bürgertreff bei Verena Roßbacher. Entnahm sie bei der ersten Session ihren Text aus "Flussstadt", kamen wir bei der anschließenden zum höchsten Vergnügen: Einzigartig war nämlich das Zusammentreffen anlässlich einer Lesung von Verena Roßbacher mit Hubert Dragaschnig (der an diesem Ort als ausgezeichneter Moderator nichts schuldig blieb), dessen Nachname sie für eine wichtige Person (und Projektionsfläche von Sehnsüchten) in ihrem preisbedachten Roman "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen" (Österreichischer Buchpreis 2022) ausgewählt hatte, durchaus im Bewusstsein, dass jede und jeder in Vorarlberg "den" Dragaschnig kennt. Verena Roßbacher las eine Schlüsselstelle … herrlich! Auch für dieses Buch eine vehemente Leseempfehlung.

Mit Tonio Schachinger, der im Jugendtreff Westend zu hören war, hat man den Preisträger zum Deutschen Buchpreis 2023 (für seinen zweiten Roman "Echtzeitalter") eingeladen, im Kindergarten an der Ach trat unter anderen Armin Thurnher vom Falter auf.

Die Bregenzer Literaturtage werden bis 2032 biennal jeweils zu Ostern in verschiedenen Bregenzer Ortsteilen stattfinden, mit der begleitenden – auch grafisch sehr schön gemachten Publikation – sollte man jedenfalls schon die Sammlung beginnen:

Flussstadt. Bregenzer Literaturtage 2024
Herausgegeben vom Verein Literaturinitiative Bregenz. Hecht Verlag, Hard 2024
Mit Beiträgen aller 13 Autor:innen
office@bregenzerliteraturtage.com

Bregenzer Literaturtage 2024
"Flussstadt" an vier Locations in der Achsiedlung 
Mit Puneh Ansari, Irene Diwiak, Jürgen-Thomas Ernst, Cornelia Hülmbauer, Anna Katharina Laggner, Barbi Marković, André Pilz, Verena Roßbacher, Tonio Schachinger, Susanne Tägder, Armin Thurnher, Mikael Vogel, Laura Vogt