Bausünden können so schön sein

Es liest sich wie ein Krimi. Die gute Bausünde zeichnet sich durch Mut, Einfallsreichtum und beherzte Entschlossenheit aus, sie hat jedenfalls Bildqualität. Die gute Bausünde ist fest am Ort verwurzelt und doch ist es ihr Charakter, mit dem städtebaulichen Kontext nicht in Beziehung zu treten. Form, Farbe, Material oder Größe sind Mittel um Fremdkörper zu sein und zu bleiben. Haben sie Bestand? Gute Bausünden sind in großer Gefahr von schlechten ersetzt zu werden. Dann sind es meist banale Belanglosigkeiten, penetrante Langweiler, austauschbar, so dass die Leute nicht einmal mehr Anstoß daran nehmen. Dann schlägt der mangelnde Kontext zurück, der Einheitsbrei ist das tatsächliche Übel der Stadt.

Turit Fröbe ist Architekturhistorikerin, Urbanistin und passionierte Architekturvermittlerin, sie nimmt uns mit auf eine unterhaltsame Reise durch Deutschland, lässt teilhaben an ihrer Bestandsaufnahme zur Bausünde. Äußerst spannend. Man fiebert mit, wenn in Berlin auf der Fischerinsel mit dem "Ahornblatt" – ein Selbstbedienungsrestaurant mit 880 Sitzplätzen, 1970–1973 erbaut – das erste unter Denkmalschutz gestellte Bauwerk der DDR-Moderne nach der Wende 2000 trotzdem abgerissen wurde und durch eine uninspirierte Blockrandbebauung ersetzt wird. Vom städtebaulichen Gedanken her zweifellos argumentierbar, der Verlust des identitätsstiftenden, für seine Schalenkonstruktion berühmten skulpturalen Bauwerks, löscht jedoch auch die Spuren der DDR-Vergangenheit aus dem Stadtbild.

In der aktuellen Neuausgabe gibt es ferner ein Update zu den Veränderungen seit 2013. Den gruseligen Tunnel, der in Weimar den Vorplatz des Bahnhofs mit dessen Rückseite verbindet, gibt es nicht mehr und auch der abgezäunte Kiesplatz der Kita in Charlottenburg an einer dreispurigen Durchgangsstraße wurde aufgelassen. Dass die grausamen Bausünden wie Verkehrsbauten, Abfahrten, die in die Altstadt donnern oder mehrspurige, die sie durchschneiden, resistenter und auch schwerer zu tilgen sind, ist überall zu beobachten. Eine schlechte Nachricht kommt aus Köln: die wunderschöne Betonskulptur – eine gezackte Dachplatte auf geschätzt acht Meter hohen Säulen – der Bushaltestelle vor dem Kölner Dom wurde abgebrochen.

Das Bilderbuch, mit den prägnanten Texten dazwischen und Titeln wie: "Bausündenpolitik, Unfälle und Rätsel, Beschriftet und bemalt, Schizohäuser" lässt die LeserInnen mitleiden, auflachen, sich ereifern. Den Namen des Stararchitekten und späteren Pritzker-Preisträgers, der in Braunschweig die schönste Karstadt-Filiale Deutschlands geplant hat, bleibt Turit Fröbe jedoch schuldig. Macht nichts, Hauptsache das eigenwillige Bauwerk bleibt stehen!

Die Kunst der Bausünde
Von Turit Fröbe
180 Seiten, 150 farbige Abbildungen
DuMont Buchverlag, Neuausgabe, 2020
ISBN 978-3-8321-9986-9