Außergewöhnlich – aufregend – queer: Die Faggots und deren Freunde

Die Oper auf der Werkstattbühne bei den Bregenzer Festspielen findet immer ihr neugieriges Publikum. Episch. Dramatisch. Queer. Das sind diesmal die Lockworte. Ein zeitgenössisches, opulentes, esoterisches Musiktheater mit einem Ensemble faszinierender Multitalente verführt dazu, sich in die Fantasiewelt eines untergehenden Imperiums einzulassen, wo Märchen und Mythen zu einem Manifest des Überlebens werden. Die Faggots sind die Guten, und alle lebten lange Zeit vor den ersten Revolutionen miteinander in Harmonie, bis ein plötzlicher Sinneswandel einige der ihren zu den Mächtigen und die Faggots zu den Anderen machte.

Das Kultbuch des US-amerikanischen Autors Larry Mitchell "The Faggots and Their Friends Between Revolutions" (1977) gilt als Gründungsmythos der queeren Community, das Diversität sowie sexuelle Vielfalt feiert und ist Grundlage für die barocke Fantasie in zwei Akten, zu der Ted Huffmann – der New Yorker inszenierte Opern wie Madame Butterfly in Zürich – das Libretto schrieb. Der britisch-deutsche Komponist Philip Venables ist bekannt für seine aufsehenerregenden Musiktheaterwerke, diese Oper ist für ihn "... eine Gutenachtgeschichte, phantasievoll und charmant erzählt. Auf einer liebevollen und naiven Ebene ...".

Und doch ist es die krasse Story über den Aufstieg eines kapitalistischen, von heterosexuellen, weißen, frauenfeindlichen, homophoben Männern regierten Imperiums. Wenn man tunlichst vermeidet "Faggots" aus nachvollziehbaren Gründen mit „Schwuchteln“ zu übersetzen, wäre vielleicht "Men" besser mit "Macher" konnotiert, um entspannter der Anklage über die Zerstörung dieser Welt durch Macht, Verfolgung, Ausgrenzung, Kapitalismus, Ausbeutung zu folgen. Man bleibt ja auch bei den urbanen "Queens", die glauben, dass einzig der persönliche und ästhetische Stil den Weg zum wahren Selbst weisen kann, oder bei "Fairies", die aufs Land fliehen, wo sie Gemüse anbauen und darauf warten, dass sich die ökologisch ausgebeutete Mutter Erde zur Wehr setzen wird. Inklusive der Frauen sind damit die "Freunde" gemeint.

Doch mit Begrifflichkeiten wollen wir uns nicht aufhalten, sondern lieber emotional in die musikalisch-künstlerische Darbietung eintauchen. Von Barockmusik mit Cembalo, Barockharfe, Gambe, Theorbe, über Folkmusik, Technobeats bis zum brasilianischen Bossa Nova erweitern sich Hör- und Erlebniswelten in heftig packende wie zutiefst berührende Schichten, genauso wird eine alternative Erzählweise der Geschichte der Menschheit angeboten, ein anderer Blick auf die Welt, die Gesellschaft und die Auswirkungen der Revolutionen. Die Figuren lösen sich aus der Erzählung in Larry Mitchells Buch, sie werden zu realen Bühnendarstellern. Die fünfzehn Performer:innen spielen im Endeffekt sich selbst, bringen ihre ganz persönlichen Charaktere ein: Musiker:innen, Sänger:innen, Schauspieler:innen und Tänzer:innen mit super-interessanten Biografien (siehe Nachspann), und das auf allerhöchstem Niveau und in schrillen Bildern.

Assoziation erlaubt? Eigentlich unterscheidet sich die Geschichte der Faggots vom Plot des aktuell gehypten Kinofilms "Barbie" wenig: Auch in Barbieland ist die Welt so lange in Ordnung, bis Barbie durch eine minimale Störung in der "Real-World" landet, und Ken, der sie heimlich begleitet hatte, bei seiner Rückkehr kurzerhand und widerstandslos auf Patriachat umstellt. Die Barbies können es schlussendlich mit List richten, doch wie früher wird es nimmer sein. Auch bei den Faggots nicht. Es sind ja alle auch nur Menschen!

The Faggots and Their Friends Between Revolutions
Musiktheater (2023)
Libretto von Ted Huffman nach dem gleichnamigen Roman von Larry Mitchell (1977)

Kerry Bursey: Spezialist für Alte Musik
Jacob Garside: freiberuflicher Cellist und Viola da Gamba-Spieler
Katherine Goforth: Sängerin, erhielt den True Voice Award 2023 (für trans und nonbinäre Opernsänger:innen)
Kit Green: Expertin für britische Unterhaltungskunst des späten Viktorianischen Zeitalters, Autorin, Produzentin von Shows
Conor Gricmanis: Kammermusiker und Solist, Violine
Deepa Johnny: Mezzosopranistin
Mariamielle Lamagat: Sopranistin, spielte zunächst Klavier und Schlagwerk
Eric Lamb: Flötist, international gefragter Solist, Kammermusiker, Konzertveranstalter
Themba Mvula: Opernbariton, vielseitiger Performer, spielt mehrere Instrumente
Yshani Perinpanayagam: Konzertpianistin, musikalische Leiterin
Meriel Price: Komponistin, Performerin, Musikerin
Collin Shay: Countertenor, Debut am Royal Opera House Covent Garden, London
Joy Smith: Harfinistin, performt Musik auf historischen Instrumenten im Stil des Mittelalters bis ins 21. Jhd.
Sally Swanson: Schauspielerin, Musikerin
Yandass: Choreographin, Regisseurin, Tänzerin

Komposition: Philip Venables
Inszenierung: Ted Huffman
Musikalische Leitung: Yshani Perinpanayagam
Dramaturgie: Scottee