Augusto Giacometti - Freiheit und Auftrag

Die Ausstellung im Aargauer Kunsthaus thematisiert entlang der Achsen "Freiheit" und "Auftrag" das Verhältnis von freiem Schaffen und Auftragskunst und legt das Spannungsfeld offen, in dem sich Augusto Giacometti (1877-1947) als Künstler und Kulturpolitiker zeitlebens produktiv bewegte. Die umfassende Präsentation lenkt den Blick auf die facettenreiche Persönlichkeit eines Künstlers, dessen Werk zu den Höhepunkten in der Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählt.

Augusto Giacometti, Angehöriger der berühmten Malerdynastie aus dem Bergeller Bergdorf Stampa, gilt als eine zentrale Figur in der Entwicklung der modernen Schweizer Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zeitgleich mit Werken in der Tradition des Jugendstils und des Symbolismus trug der Künstler mit seinen frühen Abstraktionen wesentlich zum Aufbruch der Moderne in der Schweiz bei und prägte als Mitglied und ab 1939 als Präsident der Eidgenössischen Kunstkommission (EKK) die Kunstlandschaft der Schweiz mit.

Die Ausstellung entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA). Grundlage ist der Catalogue raisonne, der im Herbst 2023 von SIK-ISEA veröffentlicht wurde und erstmals das gesamte malerische CEuvre Giacomettis von rund 560 Werken systematisch erfasst. Die Schau macht Augusto Giacometti mit seinem vielgestaltigen Leben und Schaffen in einer gleichwertigen Gegenüberstellung von freien Arbeiten und Auftragswerken greifbar.

Während Giacometti für seinen beispiellos freien Umgang mit der Farbe hinreichend gewürdigt wurde, standen seine Glas- und Wandmalereien oder seine beeindruckende Produktion an Blumenbildern bisher weniger im Fokus. Die Ausstellung will diese Lücke schliessen und Fragen der künstlerischen Autonomie im Verhältnis von Auftragskunst und selbst initiierten Projekten beleuchten. Die Denk- und Schaffensmodelle des herrschenden Kunstverständnisses, die Suche nach einer nationalen kulturellen Identität sowie staatliche Förderprogramme für arbeitslose Künstler beeinflussten die Kunstproduktion Giacomettis und seiner Zeit.
Schlüsselwerke aus allen Schaffensphasen veranschaulichen Giacomettis experimentelle, die Gattungsgrenzen überschreitende Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Malerei sowie die Besonderheiten seiner Arbeitsweisen und Techniken. Intensiv beschäftigt hat sich der Künstler mit der Leuchtkraft der Farbe, die sowohl in seinen freien Arbeiten als auch in seinen Auftragswerken zur Geltung kommt. Erstmals öffentlich zu sehen ist sein umfangreicher Zyklus "Das Leben auf dem Lande" (1920), bestehend aus vierzig Glasgemälden, die ursprünglich die Villa Bloch-Hilb in Zürich schmückten. Die Ausstellung versammelt auch Entwürfe zu seinen Mosaiken und Wandmalereien, darunter Vorzeichnungen seiner monumentalsten Arbeit - der Blüemlihalle - im Eingang des Zürcher Amtshauses I. Die Ausmalung gilt als eines der grössten und bedeutendsten Kunstwerke Giacomettis in der Stadt Zürich.

Die Ausstellung widmet den farbenprächtigen Blumenstillleben als wichtiges Experimentierfeld Giacomettis einen eigenen Raum. In über 220 Blumenmotiven - gut einem Drittel seines Gesamtwerks - demonstrierte Giacometti seine malerische Raffinesse, die weitgehend ohne lineare Zeichnung und Kontur auskommt. Reflexionen über die Farbe in Natur und Kunst verarbeitete er auch in seinen berühmten Blumenbildern der blühenden Bergeller Flora, die sich an der Schnittstelle zwischen abstrakter Gegenständlichkeit und reiner Ungegenständlichkeit bewegen. Ähnlich den grossformatigen nächtlichen Stadtansichten mit ihren bunten Leuchtreklamen und Strassenbeleuchtungen verdichten sie sich zu einem einzigen intensiven Farbgeflecht, in das die Besuchenden eintauchen können.

Mit "Augusto Giacometti. Freiheit | Auftrag" macht das Aargauer Kunsthaus kunstwissenschaftliche Erkenntnisse - etwa anhand von Fallbeispielen aus der Restaurierung und dem kunsttechnologischen Labor des SIK-ISEA - einem breiteren Publikum auf anschauliche Art und Weise zugänglich. Im Zusammenspiel von Originalen, Archivdokumenten und restauratorisch-wissenschaftlichen Untersuchungen werden aktuelle Forschungsergebnisse präsentiert und neue Akzente in der Rezeption des Künstlers gesetzt. Für einen niederschwelligen Zugang laden szenografische Vermittlungsinseln in den Ausstellungsräumen die Besuchenden ein, interaktiv zu agieren und spielerisch einzelne Exponate oder die künstlerische Methode Giacomettis mit verschiedenen Sinnen zu erkunden. Die Stationen der Vermittlung laden zur Mitwirkung und Auseinandersetzung ein.

Augusto Giacometti. Freiheit | Auftrag
27. Januar bis 20. Mai 2024