Auf der Suche nach den verlorenen Vögeln

1. Februar 2012 Rosemarie Schmitt
Bildteil

Sie ahnen nicht, liebe Leser, wie lange ich an diesem Beitrag schrieb! Wenn ich über CDs berichte, so höre ich mir diese selbstverständlich zunächst einmal an, dann, während die Aufnahme ein weiteres Mal läuft, beginne ich mit dem Schreiben. Ich betreibe keine Recherchen, lese keine Pressetexte und keine Rezensionen zu der betreffenden Aufnahme. Ich möchte, frei von der Meinung anderer, in die Musik und anschließend in mich hinein hören. So ist der Plan. Doch der ging in diesem speziellen Falle nicht auf, er erfuhr fortwährend eine Änderung.

Es nahm seinen Verlauf bereits bei dem ersten Titel "Dunerem Negrito", einem Schlaflied! Sie ahnen es bereits? Sicher, doch ebenso sicher ist: Sie ahnen Falsches! Dieses argentinische Schlaflied, welches Philippe Jaroussky, einer der begnadetsten Countertenöre unserer Zeit hier vorträgt, ist so wundervoll, so melodisch, so rhythmisch und liebenswert, daß ich an Vieles denke, außer daran ein Nickerchen zu machen oder gar zu schreiben. Ich höre und höre. Was um alles in der Welt ist das? Klassik? Barock? Weltmusik? Zeitgenössisches? Südamerikanisches? Tänze? Lieder? All dies höre ich. Höre und genieße, bis es Abend wird, ich die CD zum ich weiß nicht wievielten Male gehört, und keine einzige Zeile geschrieben habe.

"Los Pájaros perdidos" (spanisch: die verlorenen Vögel) ist das aktuelle Projekt der Österreicherin Christina Pluhar und ihrem im Jahre 2000 gegründeten Ensemble L’Arpeggiata. Christina Pluhar, die mittlerweile in Paris lebt, ist eine herausragende Barock-Harfenistin. Zunächst studierte sie in Graz Konzertgitarre, entdeckte dann ihre Liebe zur Barockmusik, wechselte zur Laute und später zur Barockharfe. Es heißt, sie sei eine der gefragtesten Musikerinnen der Alte-Musik-Szene. Doch wenn Sie "Los Pájaros perdidos" (Virgin-Classics, Vertrieb: Q-rious-Music) gehört haben, werden auch Sie sagen: von wegen Alte Szene! Diese Musik und Ihre Interpreten sind der Ausbund südamerikanischer Lebensfreude!

Sie leben, spielen und singen im Hier und Heute! Seien es Kompositionen von Antonio Soler (geboren 1729), von Astor Piazzolla ( geboren 1921) oder von der im Januar 2005 verstorbenen Consuelo Velázquez, es ist ein Feuerwerk und ein Klangfest, sowohl rauschend als auch berauschend! Sei es der Polo (kein Fahrzeug - dieser Polo ist eine Musikform, die aus dem oriente venezolano, der Stadt Coro im Staate Falcón stammt! Bringt Sie vielleicht aber weiter, als das Automobil), der Bolero, der Pajarillo, der Fandango (Fango: evtl. anschließend wohltuend) oder der Zamba (keine Gemeinsamkeit mit dem Ramba-Zamba, da ein majestätischer Paartanz), man hört und spürt es: diese Musiker haben Spaß und mögen sich!

Sie verstehen einander, unabhängig Ihrer Muttersprache, denn ihre gemeinsam Sprache ist die Musik! Vergessen Sie das babylonische Sprachgewirr! Man hätte die Leute in Babel sollen singen, statt sprechen lassen, dann hätte es vermutlich mit dem Turmbau auch besser geklappt! Musik für heute auf Instrumenten von gestern, ach, was sag ich, von vorgestern! Die "Saiten-Weise" Christina Pluhar, ihre 10 "L’Arpeggiatas" und die Gastmusiker Philippe Jaroussky, Lucilla Galeazzi, Luciana Mancini, Vincenzo Capezzuto und Raquel Andueza zaubern einen unvergleichlichen Latin-Sound sowohl mit ihren Stimmen, als auch mit Instrumenten wie dem Psalterion, der Barockharfe, der Barockgitarre oder der Erzlaute! Saitenweise Ba-Rock-Vergnügen!

So, und nachdem es dann doch mit dem Schreiben noch geklappt hat, werde ich mich entspannen bei einem meiner liebsten Lieder: "Como la Zigarre", gesungen von Philippe Jaroussky und Raquel Andueza. Der Beitrag ist geschrieben und die verlorenen Vögel werde ich nun nicht mehr suchen müssen, denn diese wundervollen farben- und lebensfrohe Geschöpfe hat Christina Pluhar gefunden und für uns alle frei gelassen!

Herzlichst
Ihre Rosemarie Schmitt