Architektur für Generationen

Die Überalterung der Gesellschaft stellt die westlichen Industrienationen vor große Herausforderungen. Das betrifft nicht nur den Umbau der sozialen Sicherungssysteme, sondern auch den Umbau von privaten Wohn- wie öffentlichen Stadt- und Verkehrsräumen. Bislang sind allerdings nur fünf Prozent des aktuellen Wohnungsbestandes altengerecht ausgelegt. Und das obwohl 93 Prozent der heutigen Generation 65plus in privaten Haushalten lebt und lediglich sieben Prozent in sogenannten Sonderwohnformen - Altenheime, Einrichtungen des betreuten Wohnens und speziell eingerichteten Altenwohnungen.

In den letzten fünfzehn Jahren hat es – bedingt durch die steigende Lebenserwartung und veränderte Lebensansprüche – eine Reihe von Verschiebungen hinsichtlich des Wohnens im Alter gegeben: Die Generation der heute über 65-jährigen möchte nicht mehr als Leistungsempfänger, sondern als Kunde wahrgenommen werden. Ihren eigenen Lebensstil ist sie bereit an das Alter anzupassen, keinesfalls aber zugunsten einer Welt des "Alten-Designs" komplett aufzugeben.

Die Herausforderung besteht in Zukunft weniger darin einen spezifisch für das Alter erschaffenen Wohnraum zu schaffen, als Räume so zu entwerfen und zu gestalten, dass sie sich an das Alter ihrer Nutzer und deren körperliche und geistige Fähigkeiten flexibel anpassen lassen. Das barrierearme Wohnen in den eigenen vier Wänden muss als das eigentliche Zukunftsmodell angesehen werden, nicht zuletzt weil das Wohnumfeld und dessen gewachsene Netzwerke soziale Einbindung garantieren.

Die Ausstellung "Netzwerk Wohnen. Architektur für Generationen" versteht sich als Plädoyer für eine Normalisierung des Themas Wohnen im Alter. Alle 35 präsentierten Wohnungsbauten zeigen, dass das Wohnen im Alter im besten Fall die bestehenden Lebensgewohnheiten fortsetzt. Zugleich werden die sozialen Möglichkeiten beispielhaft aufgezeigt. Sei es alleinlebend im Einfamilienhaus, zusammen mit anderen im gemeinschaftlichen Wohnprojekt, oder in der Wohnung im mehrgeschossigen Wohnbau in einem Quartier mit selbstorganisierter Nachbarschaftshilfe – das Thema Wohnen im Alter hat vielfältige bauliche Ausprägungen und architektonische Facetten.

Um innovative Ansätze zu zeigen wurden für die Ausstellung bewusst Beispiele aus dem europäischen Kontext aber auch darüber hinausgehend ausgewählt. Neben Villen von Shigeru Ban, Sou Fujimoto, Atelier Bow-Wow und David Chipperfield Architects für ältere Bauherren stehen Mehrfamilienhäuser mit Gemeinschaftsflächen von Will Alsop, Baumschlager Eberle und Fink + Jocher Architekten. Altersgerechter Umbau in der Schweiz wird ebenso thematisiert wie betreutes Wohnen in Luxemburg, Renovierungen in Deutschland sowie ein revitalisiertes Dorf in Italien. Ergänzt werden die zeitgenössischen Wohnprojekte von historischen Häusern von Le Corbusier, Robert Venturi, Philip Johnson und Richard Rogers. Alle diese Projekte nähren die These, dass zumindest einzelne Architekten das Thema immer schon – ob unterschwellig oder ganz dezidiert - in ihren Entwürfen mit reflektiert haben.

Alle 35 Projekte werden in Plänen, Modellen, Fotografien und Kurzfilm-Dokumentationen präsentiert. Die gesamte Ausstellungsfläche wird dabei als große, erlebbare Wohnfläche inszeniert. Die Frankfurter Fotografin Barbara Klemm konnte dafür gewonnen werden, die heutige Vielfalt der Lebensbiografien älterer Menschen in einer Serie von eindrucksvollen Bildern zu dokumentieren; sie bilden den Auftakt der Ausstellung. Darüber hinaus gibt es einzelne Themenschwerpunkte zu den Bereichen Produkt-Design, Assistenzsysteme, intelligente Gebäudetechnik und Mobilität (E-Bike, Rollator, Einkaufswagen, Car-Sharing).

Publikation: Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog in Deutsch-Englisch im Prestel-Verlag, München, hg. von Annette Becker, Peter Cachola Schmal, Claudia Haas.

Netzwerk Wohnen. Architektur für Generationen
16. Februar 2013 bis 19. Mai 2013