Apulien

29. Juli 2023 Martina Pfeifer Steiner
Bildteil

Eine Reisepassage mit groben Hindernissen und voller Wunder. Steige aus meinem zerknitterten Auto und verstehe gar nichts mehr. Wie kann das sein. Ich setze mich noch einmal hinein, starte, will zurückspulen, alles ungeschehen machen, aber höre nur schreckliche Geräusche, nicht zu orten, ob Motor, Blech oder alles miteinander schleift. Eine Betonbarriere. Langsam registriere ich, dass mein Gefährt einen Frontalcrash hinter sich hat – ist der Motor vorne oder hinten? – und vom grünen Hinweisschild, das vielversprechend Autostrada verkündet, nicht einmal ein Jutefetzen herabhängt. Der für mich und für jeden beim Abbiegen unsichtbare Betonriegel ist nicht sehr hoch, ungefähr einen halben Meter, und sperrt die Straße ab. Ich begreife es trotzdem nicht, habe eher dieses Gefühl, es wäre nicht geschehen, will einfach wieder in die wirkliche Wirklichkeit zurückkehren, aber das Wasser – welches, woher? – tropft zu Boden und bildet eine große Lache.

Dabei ist alles so perfekt gewesen. Völlig ergriffen von der Magie des Castel Del Monte stand ich zehn Minuten zuvor im achteckigen Innenhof, beeindruckt von diesem hochgeistigen Bauwerk. Schon in Vorzeiten sind die Könige, die Ritter daran gescheitert es bewohnen zu wollen, überfordert damals – und heute die Touristen. Ich fühlte mich als Eingeweihte, ahnte etwas von der vielschichtigen Bedeutung.

Bevor ich dieses imposante Castello betrat, telefonierte ich mit meiner Freundin. Habe ja einen Monat in Apulien (siehe PS: Architektur) verbracht, friedlich, südlich, und fühle mich so reich, so ruhig, so ganz in meinem Herzrhythmus. Die Adresse zu diesem Zufluchtsort vermittelte mir eben diese Freundin. Sie zeigte mir ihren Trullo, den schönsten, den ich je gesehen habe. Mächtig, zwei Zylinder übereinander, der darauf gesetzte etwas kleiner, in rötlichem Stein, wundervoll, nichts gemeinsam mit den niedlichen Kuppeltürmchen, die ich in Alberobello ausgelassen hatte.

Und da stehe ich nun. Im völlig falschen Theaterstück, das ich nicht einmal als Zuschauerin hätte sehen wollen. Hilfe! Der nächste logische Schritt: meinen Versicherungsmann alarmieren. Der Asphalt wird immer wärmer, von der Sonne, der stehenden Luft. Die Autos rauschen vorbei, niemand sieht meine Pein. Ein Radfahrer steht plötzlich da, an der angrenzenden, mit Betonelementen – schon wieder! – abgetrennten Landstraße. Wie soll er mir helfen können?

Er hebt tatsächlich das Fahrrad über die Absperrung, mit fachmännischen Bemerkungen begutachtet er den Schaden, zieht am Frontblech, ein Teil fällt herab, schlägt dann vor, noch einmal zu starten. Klingt interessant, nicht mehr so furchterregend. Vielleicht weil wir zu zweit sind.

Inzwischen hat sich herausgestellt, dass ich mein Auto einfach nach Österreich bringen sollte, dies aber niemand zahlen würde, weil ich verabsäumt habe, dem ÖAMTC beizutreten. Ich ignorierte solch Szenario, dachte ja nicht, dass es passieren könnte. Ich glaube nicht einmal jetzt, dass es passiert ist. Noch immer gibt es die Möglichkeit einer Täuschung, eines Irrtums, eines Traums.

Mein Helfer heißt Domenico. Ein Freund habe eine Autowerkstätte, gleich am Ortsanfang von Canosa, es wären nur ein paar hundert Meter, wir sollten es probieren, er könne vorausradeln. Ein Fahrradfahrer würde mich abschleppen – absurd! Den Versuch ist es aber wert, was wäre denn die Alternative? Das heruntergefallene Blech wird also im übervollen Kofferraum verstaut, wie auch die Scheinwerfer.

Mir ist klar, dass ich die Autoreparatur nicht in diesem Unort Canosa abwarten werde. Ich bin doch auf dem Weg nach San Giovanni Rotondo, wo mich am Abend noch eine Hochzeit erwartet. Außerdem reizt dieser Wallfahrtsort mit Padre Pio und die Architektur der neuen Kirche von Renzo Piano dort. Ein Auto ist schnell ausgeliehen und ich fahre dahin, ohne zuvor die Automatik zu erkunden, irgendwie. Macht nichts. Die Hochzeitsfeier ist auch schon vorbei, gegessen und getrunken, sie gehen gerade schlafen. Macht nichts.

Ich bin schockiert vom ausgestopften Padre Pio und doch zutiefst gerührt, erinnere mich an diese Wundergeschichte, die meine Mutter einst so eindrucksvoll und aufgeregt erzählt hatte. Außerdem weiß ich, dass der Hügel nebenan, der Monte Sant´Angelo, auf keinen Fall ausgelassen werden darf. Hier lockt Erzengel Michael, der auf geheimnisvolle Weise erlaubt hatte, eine Kirche in der Grotte zu errichten. Also noch eine Pilgerstätte und hoffentlich nicht so voll Bigotterie wie die des populären Wunderheilers.

San Michele ist wunderschön. Auf der Bergspitze sieht man nur den achteckigen Glockenturm und die Eingangshalle. Die eigentliche Kirche liegt im Inneren des Berges. Ich besichtige die Grotte, war doch zu lesen, dass es interessante Bildnisse und Statuen in den Nischen gibt. Doch nichts fesselt. Ich lasse mich auf einer seitlichen Holzbank nieder. Menschen kommen und gehen, wissen, wie und was sie hier erleben, fotografieren. Der Altar, der Erzengel Michael, die Accessoires, die Dekoration, nichts berührt mich. Ich bleibe lange sitzen ... Aus dem Grottenheiligtum ins Tageslicht getaucht, fühlt sich alles plötzlich so hell und gut an.

Wie ich nach Hause komme, ist auch noch wunderbar. Von Zauberhand machen die italienischen Mechaniker mein Auto reisetauglich, obwohl Samstag, obwohl zuletzt gereiht, obwohl schon lange Feierabend, es geschieht einfach. Ich fahre die ganze Nacht, eintausenddreihundert Kilometer. Morgens um vier, daheim. Tatsächlich. Alles gut.