Absolut furchtlos?

7. August 2013 Rosemarie Schmitt
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Der renommierte estnisch-amerikanische Dirigent Kristjan Järvi gilt als Grenzgänger in der Klassischen Musik. Die NY Times feierte ihn einst als "Wiedergeburt Leonard Bernsteins". Seit 2012 ist der facettenreiche Klangschöpfer Chefdirigent des MDR Sinfonieorchesters in Leipzig. Auf seiner neuen CD "Bach re-invented", nimmt Järvi sich nun Bachs Interventionen für Klavier No. 1, 4 und 8 an - als Rohmaterial.

Gespielt von der renommierten amerikanischen Pianistin Simone Dinnerstein, bilden sie den Ausgangspunkt für die dynamischen und lebhaften "re-inventions" von Mitgliedern seines brillanten "Absolute Ensembles". Geschickt und spielerisch wird Bachs Werk verbunden mit Einflüssen aus Rock, Gypsy folk, Jazz Improvisation und elektronischer Musik. So die sachdienlichen Informationen von SONY-Classical zu diesem ungewöhnlichen Album.

Noch während des Studiums gründete Kristjan Järvi 1993 in New York das Absolute Ensemble. Järvi: "Absolute - dieses Wort bringt es auf den Punkt. Wir wollen als eine Musikgruppe gesehen werden und nicht als eine klassische oder lateinamerikanische Musikgruppe oder Weltmusik- oder Jazz-Gruppe. Wir wollen diese verschiedenen Genres erforschen und mit Musikern arbeiten, die unser Wissen über diese Genres weiter entwickeln können. So weit, dass wir uns in dem Genre zu Hause fühlen."

Zu Hause hörte ich mir "Bach re-invented" an und fühlte mich plötzlich überhaupt nicht mehr zu Hause. Die Übergänge der unterschiedlichen Genres empfinde ich als sehr unsensibel, sie zerren mich von einem Gefühl zum anderen, was nicht weiter tragisch wäre, wären jene Gefühle nicht so gegensätzlich. Eben noch mit den Klängen Bachs wohltemperiert zurückgelehnt, trifft mich der Heavy-Metal-Sound wie ein Schlag. Vielleicht sollte ich diese CD beim nächsten Besuch meiner Söhne, beides Metal-Fans, auflegen, die meine Begeisterung für klassische Musik akzeptieren, wenn auch nicht teilen.

So könnten wir doch nun "unsere" Musiken (und es gibt ihn doch, den Musik-Plural) gleichzeitig hören! Daß jedoch einer von uns auf seine Kosten käme, wage ich zu bezweifeln. Ach ja, zu diesem Experiment dazu gesellen, könnten sich durchaus noch Jazz-Welt-und Elektronikmusik-Liebhaber. Für jeden ist etwas dabei. Und jedes für sich ist wirklich Musik vom Feinsten von ausgesprochen herausragenden Musikern!

Ich mag einiges davon, doch alles schön nacheinander und zu seiner Zeit. Wenn ich in der Stimmung bin Bach zu hören, trifft mich Rock-Musik wie Eisregen. Dennoch vermag ich mir vorzustellen, bestünde "Bach re-invendet" aus nur einer Bachschen Intervention, und nähmen sich Järvi und seine Musiker sehr sehr viel Zeit für sensible, langsame, sanfte Übergänge und Wechsel, bauten sie mir Brücken, daß ich mich durchaus für jene spannende Re-invention-Idee begeistern könnte.

"Bach re-invented" sei eine Hommage an Bach, heißt es. Nun bleibt es ja jedem selbst überlassen, in welcher Weise er "hommagieren" möchte. Außerdem steht nirgendwo geschrieben, daß es, dem zu Ehren es geschieht, gefallen sollte, lebten die jeweils "Hommagierten" denn noch. Re-invented bedeutet etwas gleichsam neu zu erfinden, oder auf den Kopf zu stellen, um aus der Erfindung etwas Neues zu machen. Und was ich da hörte, ist in der Tat etwas wirklich Neues!

"(...) Es geht nicht nur um Musikalität, sondern auch um Kreativität, Furchtlosigkeit, Selbstvertrauen. Darum, eine Energie zu kreieren, was übrigens das Wichtigste für jemanden ist, der sich als Künstler bezeichnen will", sagt Kristjan Järvi, und all jene Aspekte beinhaltet dieses Album. Was die Furchtlosigkeit betrifft, so schadet es nicht, wenn nicht nur die Musiker, sondern ebenso die Hörer über eine ordentliche Portion verfügen.

Sind Sie furchtlos genug für diese Musik? Beantworten Sie folgende Frage (an antwort@musikkolumne.de) und nutzen Sie die Chance "Bach re-invented" zu gewinnen. In welcher Stadt wurde Kristjan Järvi geboren?

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt