62. Berlinale: Endspurt im Bärenrennen

Die großen Entdeckungen und Überraschungen fehlten zwar im Wettbewerb der heurigen Berlinale, doch auch die großen Enttäuschungen. Als großer Barenfavorit darf so kurz vor Ende immer noch Christian Petzolds "Barbara" gelten. Doch daneben fanden sich mehrere Filme, die durch Eigenwilligkeit Interesse weckten, während Hans-Christian Schmids "Was bleibt" durch den genauen Blick auf eine Familie besticht.

So bunt wie der Paradiesvogel in Brillante Mendozas "Captive" zeigte sich der heurige Wettbewerb. Mit biederer Kost wurde man nicht abgespeist, musste sich vielmehr auf eigenwillige Filme einlassen. Schwarzweiß mit Voice-over-Kommentar als Stummfilm im 4:3 Format erzählt der Portugiese Miguel Gomes in "Tabu", über weite Strecken aus ruhigen Ansichten aus einem Zoo besteht "Postcards from the Zoo" des Indonesiers Edwin und fast ohne Dialoge entwickelt der Grieche Spiros Stathoulopoulos in "Meteora" vor grandioser Landschaft eine Liebesgeschichte zwischen einem griechischen Mönch und einer russischen Nonne, die durch eine Talebene getrennt jeweils in ihren Klöstern auf Felsnadeln wohnen.

Unüberwindbar scheinen die Grenzen zwischen Theodor und Urania. Wenn sie im Netz auf ihre Felsnadel gezogen wird, zeigt das auch ihre innere Gefangenschaft. Theodor kann immerhin über eine lange Treppe in die Talebene hinabsteigen. Langsam kommen sie sich näher, folgen auf Lichtzeichen ein Picknick und schließlich die körperliche Vereinigung.

Nicht nur mit Realfilm, sondern auch mit liebevoller, aber letztlich auch süßlichen Animationsszenen im Stil von Ikonenmalerei erzählt Stathoulopoulos von dieser Überwindung der religiösen Vorschriften, lässt die menschliche Liebe triumphieren und die Liebenden in einem Meer von Christi Blut, das sich über die Welt ergießt, zueinander finden.

Bildschön ist dieses filmische Gedicht, aber auch sehr prätentiös. Ganz nah am Leben ist dagegen Hans-Christian Schmids "Was bleibt". Wie der Deutsche unterstützt von seinem Drehbuchautor Bernd Lange und einem großartigen Ensemble eine Familie und deren Verdrängungen skizziert, hat eine Genauigkeit und eine Echtheit, die packen.

Ganz auf ein Wochenende beschränkt sich Schmid. An diesem lässt er die Familie zusammenkommen, weil die Mutter eine wichtige Ankündigung machen möchte. Während der jüngere Sohn Jakob sowie so immer in der Gegend ist, mit dem Geld des Vaters Wohnung und Zahnarztpraxis eingerichtet hat, kommt Marko, dessen Erfolg als Schriftsteller sich wohl in Grenzen hält, nur ein- bis zweimal aus Berlin zu Besuch. Ohne viel zu reden ist bald klar, dass er wohl immer seinen Weg gegangen ist, Jakob dagegen die elterlichen Vorstellungen stets brav erfüllt hat.

Die Mutter wiederum ist seit 30 Jahren wegen psychischen Problemen in Behandlung, war schon öfter hospitalisiert. Beim Familientreffen erklärt sie, dass sie die Medikamente schon seit zwei Monaten abgesetzt hat und normal behandelt werden will. Geschockt reagieren der Vater und die zwei Kinder, befürchten sich doch einen baldigen Zusammenbruch, doch gleichzeitig führt das Geständnis der Mutter bald dazu, dass bisher Verdrängtes ausgesprochen wird.

Marko findet endlich den Mut zuzugeben, dass er sich schon vor Monaten von der Mutter seines Kindes getrennt hat, Jakob muss gestehen, dass seine Praxis nicht läuft und er so gut wie pleite ist, und auch der Vater muss schließlich reinen Tisch machen.

In der Konzentration auf die Familie, zu der auch noch Markos kleiner Sohn und Jakobs Freundin gehören, entwickelt "Was bleibt" große Dichte. Selten findet man die Ausgewogenheit, mit der Schmid auf die Figuren blickt, niemanden verurteilt und jede Position verständlich macht und für sie Verständnis zeigt.

Für einen Preis jenseits der Darstellerpreise bietet sich "Was bleibt" trotz dieser präzisen Durchleuchtung einer Familie aber nicht. Denn einerseits verliert der Film mit dem plötzlichen Verschwinden der Mutter ein Zentrum und damit eine Intensität, die er erst wieder in der Schlussszene erreicht, in dem man schon wieder zum gewohnten Schweigen übergeht, andererseits können auch die konzentrierte Inszenierung und das herausragende Ensemble nicht über eine gewisse Statik und fehlende filmische Gestaltung hinwegtäuschen.