53. Solothurner Filmtage: Subjektive Blicke, homophobes Fußballmilieu

Stark präsentierte sich bei den Solothurner Filmtagen vor allem das Schweizer Dokumentarfilmschaffen. Auffallend war dabei, dass die Regisseure vielfach ihre subjektive Perspektive ins Spiel brachten. Bei den Spielfilmen sorgte neben Christine Reponds "Vakuum" Marcel Gisler mit "Mario" für einen Höhepunkt, der neben Lisa Brühlmanns "Blue My Mind" auch am meisten Nominationen für den Schweizer Filmpreis einheimste.

Wie für Anja Kofmel der Tod ihres Cousins Ausgangspunkt ihres Dokumentarfilms "Chris the Swiss" ist, so verknüpft Dieter Fahrer in "Die vierte Gewalt" seine Erkundung des Wandels oder Niedergangs der Schweizer Medienlandschaft mit der Geschichte seiner Eltern. Während der Berner Bund zeitlebens zu ihrem Alltag gehörte, verzichten die Nachmieter ihrer Wohnung auf ein Zeitungsabonnement.

Den Blick auf die journalistische Arbeit beim Bund, beim Internetmedium Watson und bei der Radiosendung "Echo der Zeit" unterbricht Fahrer immer wieder durch Szenen aus dem Altersheim, in dem der Vater zunehmend verfällt, und wie die elterliche Wohnung am Beginn leersteht, so steht am Ende ein Büro des Berner Bunds leer.

Unaufhaltsam scheint der Niedergang des Qualitätsjournalismus, andererseits zeigt Fahrer, mit dem über Crowdfounding gegründeten Online-Medium Republik.ch auch neue Wege des Journalismus.

So entschieden der Regisseur aber auch für eine starke und vielfältige Medienlandschaft als Grundlage für eine funktionierende Demokratie und damit auch für Freiheit Partei ergreift und viele Facetten anspricht, so kann "Die vierte Gewalt" aufgrund fehlender Prägnanz doch nicht wirkliche Durchschlagskraft entwickeln.

Sich selbst als Regisseur bringt auch Wilfried Meichtry bei seinem Dokudrama "Bis ans Ende der Träume", in dem er die Beziehung der Schweizer Reiseschriftstellerin Katharina von Arx zu dem französischen Fotografen Freddy Drilhon nachzeichnet, denn einerseits erklärt Meichtry im Voice-over, dass er Katharina von Arx erstmal 2011 getroffen habe, andererseits zeigt er sich bei den Interviews mit der Protagonistin auch mehrfach im Bild.

So sorgfältig Meichtry aber auch Archivmaterial der Porträtierten, Interviews und Spielszenen mischt, so bleibt der Film trotz des dramatischen Lebens der Porträtierten etwas farblos und bieder. Zu privat scheint diese Geschichte letztlich zu sein, eine gesellschaftliche Komponente, an der sich das Paar reiben könnte, fehlt weitgehend.

Einen radikal subjektiven Blick kennzeichnet schließlich Manuel von Stürlers Dokumentarfilm "La fureur de voir". Den Protagonisten selbst sieht man nie, denn immer nimmt die Kamera seine Position ein. Aus von Stürlers Perspektive folgt man so, beginnend mit dem Besuch bei einem Augenarzt, seiner Recherche über die Ursachen seiner drohenden Erblindung, dem Verhältnis von Sinnesorgan und Gehirn beim Sehen, möglichen Therapiemöglichkeiten bis hin zu einem Retinaimplantat, das über eine Kamera Bilder ans Gehirn schickt.

Ganz selbstverständlich ergibt sich so aus der persönlichen Recherche eine universelle Reflexion über das Sehen, das nicht nur praktischen Nutzen hat, sondern auch mit Vergnügen und Freude verbunden sein kann.

Die Möglichkeiten der menschlichen Stimme erkundet dagegen Bernard Weber in "Der Klang der Stimme", der mit dem "Prix du Public ausgezeichnet wurde. Vom Stimmexperimentator Andreas Schaerer über die Stimmtherapeutin Miriam Helle und die Sopranistin Regula Mühlemann bis zum Wissenschaftler Matthias Echternach, der hinter das Geheimnis der menschlichen Stimme kommen möchte, spannt Weber in großer Parallelmontage den Bogen.

Wunderbaren Rhythmus entwickelt der Film in der Verschränkung der vier Gruppen, und beschwört mitreißend die Kraft und die Möglichkeiten der menschlichen Stimme, regt an zu ihrer bewussten Wahrnehmung und Wertschätzung ebenso wie zu ihrer befreiten Nutzung, die durch gesellschaftliche Regeln vielfach verlernt wird.

Unter den Spielfilmen sorgte Marcel Gisler mit "Mario" für einen Höhepunkt, der auch für vier Schweizer Filmpreise nominiert wurde. Neue Wege beschreitet Gisler zwar nicht, aber die sorgfältig aufgebaute Geschichte eines jungen Fußballers, der sich zwischen Karriere als Profi und Outing seiner homosexuellen Neigung entscheiden muss, besticht durch realistische und differenzierte Erzählweise ebenso wie durch die Klarheit mit der hier die Tabuisierung von Homosexualität in Fußballclubs aufgezeigt und verurteilt wird.

Ohne ins Belehren abzugleiten, macht Gisler anhand seiner Geschichte und unterstützt von starken Schauspielern eindrücklich bewusst, wie es in einer solchen Situation für einen homosexuellen Spieler kein Glück geben kann und welche Belastungen und psychischen Folgen die Verdrängung und das Missverhältnis von vorgespieltem äußerem Schein und wahren Gefühlen für den Betroffenen haben.

Sogar sieben Mal für den Schweizer Filmpreis würde Lisa Brühlmanns "Blue My Mind" nominiert. Die Coming-of-Age-Geschichte, die schon im Herbst in den Schweizer Kinos angelaufen ist, überrascht mit einer kühnen Mischung aus Realismus und Fantasy. Im Mittelpunkt steht die 15-jährige Mia, die zunehmend an ihrem Körper eine Veränderung feststellt, die nicht nur sie, sondern auch den Zuschauer verstört.

Nicht nur diese Fantasy-Ebene, sondern auch die ausgefeilte Kameraarbeit, in der blaugraue Töne dominieren sowie treffend eingefangene, von Beton bestimmten Settings von der Schule über eine Party an einem Asphaltplatz bis zu einer Einkaufszentrum und einer Neubausiedlung am Stadtrand sorgen dafür, dass dieses Langfilmdebüt in Erinnerung bleibt.